Definiertes Konzept mit Qualität
Selbsthilfefreundlichkeit und Kooperation mit der Selbsthilfe in Rehabilitationskliniken
Für Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen kann die gemeinschaftliche Selbsthilfe durch ihre Betroffenenkompetenz eine entscheidende Unterstützung zur Krankheitsbewältigung sein. Die positiven Wirkungen der gesundheitsbezogenen Selbsthilfegruppen (SHG) auf Wissen, Selbstmanagement und Selbstwirksamkeit sind belegt. Insbesondere für die medizinische Rehabilitation sind sie bedeutsam zur nachhaltigen Stabilisierung des Rehabilitationserfolges.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation e.V. (BAR) und die Deutsche Rentenversicherung (DRV) betonen seit Jahren das große Potenzial der Selbsthilfe. Doch bereits in einer früheren Untersuchung berichteten nur 7 bis 18 Prozent (je nach Indikation) der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden, eine "Anregung (zu) einer Selbsthilfegruppe" erhalten zu haben (Widera 2010, S. 156). Auch in den Befragungen der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden 2010-2021 kamen Anregungen zu einer Selbsthilfe-/Gesprächsgruppe in den Bereichen Somatik stationär über die Jahre hinweg auf nur 9 bis 10 Prozent. Im Suchtbereich sind es hingegen 75 Prozent (Trojan et al., submitted).
Vor diesem Hintergrund fördert die DRVBund ein Forschungsprojekt zur Kooperation zwischen Reha-Kliniken und Selbsthilfe (www.uke.de/kores). Das Institut für Medizinische Soziologie (IMS) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und das Netzwerk Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im Gesundheitswesen (SPiG, www.selbsthilfefreundlichkeit.de) untersuchen hier die kooperationsförderlichen und hinderlichen Faktoren und Rahmenbedingungen. Die Ergebnisse werden später durch Handlungsempfehlungen in die Intensivierung und Verbesserung der Kooperation einfließen.

Selbsthilfe im Internet
In einer bereits abgeschlossenen Teilstudie wurde der Stellenwert der Selbsthilfe in den Internetauftritten von 400 (zufällig ausgewählten) Reha-Kliniken als zentrale Quelle für Patienteninformationen anhand eines 16 Kriterien umfassenden Kodier-Systems untersucht (Ziegler et al., submitted). Die Skala von 0 bis 16 Punkten (im Folgenden in vier Kategorien zusammengefasst) repräsentiert den Grad der auf den Webseiten enthaltenen Selbsthilfeorientierung. Knapp ein Drittel der Websites beinhalteten eine umfängliche und 7 Prozent gar eine herausragende Selbsthilfeorientierung, doch auf ca. 42 Prozent der Websites fanden sich überhaupt keine Hinweise zur gemeinschaftlichen Selbsthilfe.
Eine Weiterentwicklung der Kooperation bedarf eines systematischen Ansatzes. Daher ist von Anbeginn das Netzwerk SPiG als Partner in die Forschung einbezogen worden. Es stellt ein definiertes Konzept zur Verfügung, das auf Qualitätskriterien für Selbsthilfefreundlichkeit und einem systematischen Verfahren für deren Implementation beruht. Die Qualitätskriterien wurden für verschiedene Arten von Gesundheitseinrichtun„gen jeweils partizipativ und praxisnah unter Beteiligung von Selbsthilfe und Qualitätsverantwortlichen entwickelt.
Abbildung 1: Selbsthilfe-Orientierung in den Internet-Auftritten von Reha-Kliniken (N=400, Zufallsauswahl)

Für Reha-Kliniken lauten sie:
- Selbstdarstellung wird ermöglicht.
- Auf Teilnahmemöglichkeit wird hingewiesen.
- Ein Ansprechpartner ist benannt.
- Zum Thema Selbsthilfe wird qualifiziert.
- Kooperation ist verlässlich gestaltet.
Die Implementierung dieser Qualitätskriterien ist neben der Auszeichnung "selbsthilfefreundlich" auch mit weiteren Vorteilen für die Reha-Kliniken verbunden:
- Nachhaltige Qualitätssteigerung: Mit praxisnahen Qualitätskriterien werden die Patientenorientierung gestärkt und die Versorgung verbessert – messbar und wirkungsvoll.
- Positive öffentliche Wahrnehmung: Engagement für innovative patientennahe Versorgung wird für Patientinnen und Patienten sowie Einweisende sichtbar.
- Stärkere Patientenbindung: Die enge Zusammenarbeit mit SHG schafft Vertrauen bei Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen und sorgt für höhere Zufriedenheit und langfristige Bindung.
Die Kooperation zwischen DRV, IMS, Netzwerk SPiG, BAR und Selbsthilfevertretenden bietet eine große Chance, die bisher geringe Zusammenarbeit von Reha-Kliniken mit der Selbsthilfe deutlich zu intensivieren und zu verbessern.
Referenzen
Trojan, A.; Gelsomino, L.; Ziegler, E.; Kofahl, C.: Kooperation zwischen Selbsthilfe und Rehabilitation im Rahmen der Deutschen Rentenversicherung (DRV): Entwicklung, aktueller Stand und Perspektiven. Die Rehabilitation (submitted).
Widera, T. (2010): Aktuelles aus der Reha-Qualitätssicherung – neue Ergebnisse der Rehabilitandenbefragung. RVaktuell, Jg. 57, H. 4, S.153–159.
Ziegler, E. et al.: Assessing Self-help Orientation among German Rehabilitation Clinics: A Website Content Analysis. J Med Internet Res (submitted).