Blicke zurück und nach vorne: "20 Jahre SGB IX" der BAR
Diesen Fragen gingen Expertinnen und Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammen mit rund 200 Teilnehmenden während der digitalen Fachveranstaltung "20 Jahre SGB IX. Ein langer Weg für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Blicke zurück nach vorne" der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR) am 15. Juni 2021 nach.
Markus Hofmann, Vorstandsvorsitzender der BAR und Abteilungsleiter DGB, eröffnete die Veranstaltung, die von Daniela Bublitz moderiert wurde, und betonte wie wichtig Zahlen und Transparenz in Rehabilitation und Teilhabe sind und dass dadurch mehr Zusammenarbeit erreicht werden kann.
Minister Hubertus Heil vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales hob in seiner Grußbotschaft das Bundesteilhabegesetz und das Teilhabestärkungsgesetz hervor. Er verdeutlichte damit, dass das SGB IX "lebt": "Das SGB IX ist damals wie heute ein modernes und an den Bürgerinnen und Bürgern orientiertes Gesetz […] Allerdings bleibt auch in Zukunft eine ganze Menge zu tun, um die Selbstbestimmung und Teilhabe im Alltag und am Arbeitsplatz zu verbessern“.
Prof. Dr. Marc von Miquel, Geschäftsführer der sv:dok, Dokumentations- und Forschungsstelle der Sozialversicherungsträger, skizzierte im ersten Fachbeitrag die Historie des SGB IX und unterstrich dabei, dass Sozialpolitik ohne zivilgesellschaftliche Aufbrüche wie die Behindertenbewegung nicht denkbar ist. Anschließend ging es um das SGB IX in der Rechtsprechung: Prof. Dr. Steffen Luik, Richter am Bundessozialgericht in Kassel, zeigte sich überzeugt, dass das SGB IX die Umsetzung des Benachteiligungsverbots leisten kann, sieht allerdings noch großen Spielraum zum Beispiel bei der Teilhabeplanung.
Prof. Dr. Felix Welti, Professor für Sozial- und Gesundheitsrecht an der Universität Kassel, stellte in seinem Vortrag die Erfolge, Probleme und Herausforderungen der Sozialen Selbstverwaltung dar. In der anschließenden Diskussionsrunde mit Prof. Dr. Welti, Brigitte Gross (Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund), Dr. Susanne Wagenmann (alternierende Vorstandsvorsitzende der BAR und Abteilungsleiterin BDA) und in einem Videobeitrag von Jürgen Hohnl (Geschäftsführer IKK e. V.) wurde deutlich, dass die Selbstverwaltung auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen muss. Alle waren sich einig, dass vor allen Dingen die Digitalisierung neue Chancen bieten kann. Prof. Dr. Edwin Toepler, Professor für Management der Rehabilitation an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, zeigte in seinem Beitrag "Qualitätsziel Teilhabe – Härtetest für das SGB IX?" wie wichtig es ist, individuelle Teilhabeziele zu setzen und vor allem der Frage nachzugehen, ob diese erreicht wurden.
Aus dem Atelier der BAR berichteten Bernd Giraud, Fachbereichsleiter Programme und Produkte, und Dr. Stefan Schüring, Fachbereichsleiter Teilhabeverfahrensbericht, Systembeobachtung und Forschung. Herr Giraud stellte das Projekt "digitaler Grundantrag" vor. In einem Live-Voting waren die Teilnehmenden der Fachtagung der Meinung, dass neben Verbänden und Politik sowie Reha-Trägern vor allem Bürgerinnen und Bürger von solch einem "Antrag für alles" profitieren würden. Herr Dr. Schüring stellte mit der BAR-Ausgabenstatistik und mit dem Teilhabeverfahrensbericht wichtige Steuerungsinstrumente für Rehabilitation und Teilhabe vor und warb für deren Nutzung. Im letzten Teil der digitalen Fachveranstaltung erörterte Prof. Dr. Helga Seel, Geschäftsführerin der BAR, in ihrem Vortrag "Wir müssen mehr miteinander reden" das SGB IX im Spiegel der Sprache und zeigte auf, wie wichtig es ist, die Verständlichkeit von Sprache zu verbessern und wie das konkret gelingen kann. Ihr Fazit: "Funktionierende Kommunikation ist eine Grundlage für eine teilhabeorientierte Rehabilitation."
Während der Fachveranstaltung kamen immer wieder Menschen mit Behinderungen zu Wort, die aus ihrer Perspektive berichteten. Britta Meinecke-Allekotte, eine OP-Schwester, die bei einem Arbeitsunfall einen Arm verlor und sich wieder in ihren Beruf zurückkämpfte, brachte ihre Auffassung von Teilhabe auf den Punkt: "Das Leben wieder in Eigenregie führen zu können". Sarah Meß, Teilhabeberaterin ZSL Nord, unterstrich, wie wichtig es ist, nicht über die Köpfe von Menschen mit Behinderungen hinweg Anliegen zu besprechen, die diese betreffen. Michael Feller, Peer-Berater bei der EUTB, stellte klar: "Nur wenn wir gleichberechtigt miteinander kommunizieren, kann Selbstbestimmung und Partizipation in allen Bereichen erreicht werden."
Annetraud Grote, Inklusionsbeauftragte des Paul Ehrlich Instituts, hatte zwei wichtige Botschaften: "Inklusion beginnt in den Köpfen" und "Inklusion braucht Kooperation".
Jürgen Dusel, Bundesbeauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderungen, nutzte das „Recht des letzten Wortes“ und unterstrich, wie wichtig es ist, das SGB IX und das BTHG im Licht der UN-BRK zu sehen und daran zu arbeiten, dass Kooperation, Kommunikation und Konvergenz der Reha-Träger verwirklicht werden und bei den Menschen ankommen.
Eine Dokumentation der digitalen Fachtagung, unter anderem mit Videobeiträgen, wird demnächst auf www.20-jahre-sgb-ix.de veröffentlicht.
Bis dahin gibt es Interessantes in der digitalen Eventbag zu entdecken. Mehr zu 20 Jahre SGB IX gibt es außerdem in der Reha-Info, Ausgabe 2/2021.