I. Grundsatzfragen
1) Was ist eine stufenweise Wiedereingliederung?
Eine stufenweise Wiedereingliederung ist eine zwischen Beschäftigten und Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern individuell abgestimmte Maßnahme. Im Hinblick auf Arbeitstage, Arbeitszeiten und Anforderungen kann sie flexibel ausgestaltet werden. Die stufenweise Wiedereingliederung soll dazu beitragen, arbeitsunfähige Beschäftigte durch die schrittweise Erhöhung der Arbeitsbelastung wieder an eine möglichst vollschichtige Tätigkeit heranzuführen und somit letztlich die Teilhabe durch Rückkehr in den Berufsalltag positiv zu beeinflussen.
2) Wer kann eine stufenweise Wiedereingliederung beantragen?
Grundsätzlich können alle Arbeitnehmer:innen eine stufenweise Wiedereingliederung beantragen, die nach wiederholter oder länger andauernder Arbeitsunfähigkeit (in der Regel 6 Wochen) schrittweise an die Arbeitsbelastung des bisherigen Arbeitsplatzes herangeführt werden möchten und in Zukunft auch die bisherige Tätigkeit zumindest teilweise wieder verrichten können.
Auch Teilzeitbeschäftigte können eine stufenweise Wiedereingliederung beantragen. Die Anzahl der zu leistenden Stunden während der stufenweisen Wiedereingliederung und die praktische Umsetzung gestalten sich individuell und sind in Rücksprache mit der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber festzulegen.
II. Zuständigkeits- und Verfahrensfragen
1) Wann kommt eine stufenweise Wiedereingliederung in Betracht?
Gesetzliche Rentenversicherung
Eine stufenweise Wiedereingliederung kommt für arbeitsunfähige Personen in Betracht, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen beziehungsweise gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (Arbeitnehmer:innen, Auszubildende). Auch bei selbständig tätigen Personen kann im Anschluss an eine länger dauernde Erkrankung eine stufenweise Wiedereingliederung in Betracht kommen, um die Wiedererlangung der vollen Leistungsfähigkeit in der selbständigen Tätigkeit zu erleichtern. Dies gilt auch für Rentenbezieher:innen, die eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen, sowie für Personen, die eine solche Rente beantragt haben und noch in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Aus medizinischer Sicht müssen jedoch eine ausreichende Belastbarkeit der Rehabilitanden und Rehabilitandinnen und eine günstige Aussicht für die berufliche Wiedereingliederung bestehen. Die Prognose, ob durch eine stufenweise Wiedereingliederung das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und damit die Zahlung einer Rente verhindert werden kann, ist dabei entscheidend.
Bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit nach Aussteuerung aus dem Krankengeldbezug und anschließendem Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 145 SGB III beziehungsweise § 138 SGB III kann auch für arbeitslose Rehabilitanden und Rehabilitandinnen, die weiterhin in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis stehen, eine stufenweise Wiedereingliederung in Betracht kommen (vergleiche hierzu Urteile des BSG vom 21.03.2007,Az.: B 11a AL 31/06 R und BSG vom 17.12.2013,Az.: B 11 AL 20/12 R).
Gesetzliche Krankenversicherung
Voraussetzung zur Teilnahme an einer stufenweisen Wiedereingliederung ist eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dementsprechend greift bei Minijobs, die versicherungsfrei sind, die Regelung der stufenweisen Wiedereingliederung nicht. Für Beamtinnen und Beamte sowie privat Versicherte gibt es vergleichbare Modelle in der privaten Krankenversicherung.
Selbständig versicherte Personen in der gesetzlichen Krankenversicherung, die den vollen Beitrag (plus Zusatzbeitrag) bezahlten, erhalten Krankengeld und sind damit zur Teilnahme an einer stufenweisen Wiedereingliederung berechtigt.
Kinder und Ehepartner:innen, die in der gesetzlichen Familienversicherung beitragsfrei mitversichert sind, haben keinen Anspruch auf Krankengeld. Gleiches gilt für Studierende und Personen, die während eines Praktikums pflichtversichert sind. Eine Teilnahme an einer Stufenweisen Wiedereingliederung ist dann nicht möglich.
Personen, die Arbeitslosengeld II beziehen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf Krankengeld. Auch hier besteht kein Anspruch auf Teilnahme an einer Stufenweisen Wiedereingliederung.
2) Welcher Leistungsträger ist für mich zuständig, wenn ich eine stufenweise Wiedereingliederung machen möchte?
Gesetzliche Rentenversicherungsträger
Sofern eine stufenweise Wiedereingliederung unmittelbar im Anschluss an eine medizinische Rehabilitation, die vom Rentenversicherungsträger durchgeführt wird, erforderlich ist, bleibt dieser zuständig.
Gesetzliche Krankenkassen
Die Krankenkasse ist zuständig, sofern die stufenweise Wiedereingliederung nicht innerhalb von 4 Wochen nach einer medizinischen Rehabilitation eines Rentenversicherungsträgers beginnt.
Agenturen für Arbeit
Besteht kein Anspruch mehr auf Krankengeld ("Aussteuerung"), ist voraussichtlich die Agentur für Arbeit zuständig, sofern noch Anspruch auf Arbeitslosengeld und ein vertragliches Arbeitsverhältnis besteht, wenn durch die stufenweise Wiedereingliederung weder Beschäftigungslosigkeit noch Verfügbarkeit wegfallen (vergleiche BSG, Urteil vom 17.12.2013, Az.:- B 11 AL 20/12 R).
Gesetzliche Unfallversicherungsträger
Sofern die stufenweise Wiedereingliederung aufgrund eines Arbeits- oder Wegeunfalls oder einer Berufskrankheit eingeleitet wird, ist voraussichtlich die gesetzliche Unfallversicherung zuständig und zahlt weiter Verletztengeld.
Integrationsämter
Die Integrationsämter treten mit ihrem Leistungs- und Beratungsangebot in der Regel dann im Kontext der stufenweisen Wiedereingliederung in Erscheinung, wenn sich diese aus einem Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX oder einem BEM-Verfahren nach § 167 Abs. 2 SGB IX ergeben hat. Die Integrationsämter sich jedoch nicht vorrangig zuständig und ebenso nicht für die Gewährung von Entgeltersatzleistungen.
3) Warum sind manche Bewilligungsbescheide für eine stufenweise Wiedereingliederung auf 6 Wochen begrenzt, obwohl der Wiedereingliederungsplan für 6 Monate erstellt wurde?
In solchen Fällen besteht je nach Verlauf der stufenweisen Wiedereingliederung jedenfalls stets die Möglichkeit einer Verlängerung der stufenweisen Wiedereingliederung in Absprache zwischen allen Beteiligten auch über den zunächst bewilligten Zeitraum hinaus.
III. Arbeitsrechtliche und arbeitsplatzbezogene Fragen
1) Ist der Arbeitgeber verpflichtet, mir eine stufenweise Wiedereingliederung zu ermöglichen?
Nein,
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind gesetzlich nicht verpflichtet, eine stufenweise Wiedereingliederung zu ermöglichen und damit eine "teilweise Arbeitsleistung" anzunehmen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat jedoch aus § 164 Abs. 4 SGB IX einen grundsätzlichen Anspruch gegen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auf Zustimmung zur Durchführung der stufenweisen Wiedereingliederung für schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Beschäftigte abgeleitet (vergleiche BAG, Urteil vom 13. Juni 2006, Az.: 9 AZR 229/05). Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können dennoch eine solche Maßnahme auch bei betroffenen Beschäftigten ablehnen, sofern es zu unzumutbaren oder unverhältnismäßig hohen Aufwendungen kommen würde oder besondere Umstände vorliegen (vergleiche BAG, Urteil vom 16.05.2019, Az. 8 AZR 530/17). Ob die stufenweise Wiedereingliederung von betroffenen Beschäftigten tatsächlich erfolgen kann, ist jedenfalls immer abhängig von der Zustimmung der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers, die gegebenenfalls auf dem Rechtsweg herbeizuführen ist.
2) Kann man bei einer neuen Arbeitsstelle mit einer stufenweisen Wiedereingliederung beginnen?
Ja,
das ist ebenfalls denkbar. Der Wechsel des Arbeitgebers während der stufenweisen Wiedereingliederung ist unschädlich, "sofern der Stufenplan zeitnah an einem gleichartigen Arbeitsplatz fortgesetzt werden kann und die stufenweise Wiedereingliederung voraussichtlich erfolgreich abgeschlossen werden kann."
3) Kann eine stufenweise Wiedereingliederung auch tageweise durchgeführt werden?
Sofern medizinische oder betriebsbedingte Gründe (zum Beispiel bei Schicht- oder Wechseldienst) vorliegen, kann eine stufenweise Wiedereingliederung auch tageweise bei voller Arbeitszeit durchgeführt werden, wenn dies im Stufenplan so vorgesehen wird.
4) Kann eine stufenweise Wiedereingliederung vorzeitig beendet werden?
Ja,
es steht den betroffenen Beschäftigten zu, die Wiedereingliederung vorzeitig zu beenden. Auch die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber kann den Wiedereingliederungsversuch vorzeitig beenden, wenn hierfür betriebliche Gründe vorliegen (zum Beispiel Kurzarbeit, Betriebsschließungen). Eine vorzeitige Beendigung der stufenweisen Wiedereingliederung kann jedoch auch dann erfolgen, wenn der Gesundheitszustand sich maßgeblich gebessert hat und die beschäftigte Person wieder voll belastbar ist.
IV. Fragen zu ergänzenden und weiteren Leistungsansprüchen des Beschäftigten während stufenweiser Wiedereingliederung
1) Besteht ein Anspruch auf Entgeltersatzleistung für die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung?
Ja,
grundsätzlich stehen den arbeitsunfähigen Beschäftigten nach dem Ende der durch die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber getragenen Entgeltfortzahlung (nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz – EntgFG) Entgeltersatzleistungen aus der Sozialversicherung zu. Diese Entgeltersatzleistungen umfassen Krankengeld, Verletztengeld oder Übergangsgeld (vergleiche BSG, Urteil vom 5.7.2017, Az.: B 14 AS 27/16 R). Zur Verdeutlichung der insoweit bestehenden Zuständigkeiten und rechtlichen Grundlagen der finanziellen Absicherung wird auf die Tabelle unter Kapitel 2 "Finanzielle Absicherung im Zusammenhang mit einer stufenweisen Wiedereingliederung" in der Arbeitshilfe verwiesen.
2) Kann in den letzten Wochen einer stufenweisen Wiedereingliederung die volle Arbeitszeit erprobt werden, ohne dass ein Verlust der Entgeltersatzleistung droht?
Ja,
ein Anspruch auf Kranken-, Verletzten- oder Übergangsgeld hängt stets mit der Frage der (weiter)bestehenden Arbeitsunfähigkeit zusammen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern steht bei der stufenweisen Wiedereingliederung weiterhin eine Entgeltersatzleistung zu, solange die Arbeitsunfähigkeit andauert, längstens jedoch für die maximale Dauer der stufenweisen Wiedereingliederung (i.d.R. sechs Monate).
3) Besteht ein Anspruch auf Fahrtkostenübernahme für die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung?
Im Grundsatz Ja,
die Frage ist allerdings noch nicht abschließend höchstrichterlich entschieden: Einige unteren Instanzen (vgl. u.a. SG Neuruppin v. 26.1.2017, Az.: S 22 R 127/14 – unter Berufung auf BSG v. 29.1.2008 - B 5a/5 R 26/07 R; aus jüngerer Zeit v.a. LSG Neustrelitz v. 28.5.2020, Az.: L 6 KR 100/15) ordnen die stufenweise Wiedereingliederung als eine durch ergänzende Leistungen förderbare Hauptleistung zur medizinischen Rehabilitation ein und bejahen dementsprechend die Frage, ob auch die während einer stufenweisen Wiedereingliederung anfallenden Fahrtkosten der Rehabilitand:innen als Leistung zur medizinischen Rehabilitation durch den "Kostenträger" zu erstatten sind .
In der Praxis kommt es häufig zur Ablehnung von Fahrtkostenerstattungen, da einige Rehabilitationsträger die stufenweise Wiedereingliederung nicht als eigenständige Leistung zur medizinischen Rehabilitation, sondern als ergänzende Leistung einstufen.In begründeten Einzelfällen beziehungsweise bei besonderen finanziellen Belastungen können, zumindest bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV), Fahrtkosten übernommen werden. Zur eindeutigeren Klärung, wie der jeweilige Leistungsträger mit der Erstattung von Fahrtkosten bei einer stufenweisen Wiedereingliederung umgeht, empfiehlt sich eine direkte Kontaktaufnahme mit diesem.
4) Besteht ein Anspruch auf Urlaub während einer stufenweisen Wiedereingliederung?
Nein,
nach geltendem Recht sind die Beschäftigten auch während einer stufenweisen Wiedereingliederung arbeitsunfähig und werden entsprechend ihrer aktuellen Leistungsfähigkeit eingesetzt. Demnach tritt mit der medizinisch kontrollierten, zunehmend höheren arbeitsmäßigen Belastung der Beschäftigten noch keine Arbeitsfähigkeit ein. Die bestehende Arbeitsunfähigkeit hat u.a. zur Folge, dass während einer stufenweisen Wiedereingliederung Erholungsurlaub ausgeschlossen ist.
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