Wie funktioniert das betriebliche Eingliederungsmanagement?

Auch wenn das Gesetz keinen konkreten Ablauf zur Durchführung des BEM vorschreibt, ist das Anliegen des Gesetzgebers, dass ein grundsätzlich strukturiertes Vorgehen Praxisstandard wird. Auch die Erfahrungen der Umsetzungspraxis bestätigen, dass ein systematisches und schrittweises Vorgehen die Chancen auf die erfolgreiche Eingliederung erhöhen. Nachfolgend werden wesentliche Aspekte der in der Praxis bewährten Umsetzungsschritte beschrieben. Auf dieser Basis soll es leichter fallen, den individuell betrieblichen Weg zur Umsetzung des BEM zu finden und auszugestalten. Denn klar ist auch, dass es kein für alle Betriebe allgemeingültiges Konzept für das BEM gibt. Die auf den Einzelfall bezogene Situation steht im Vordergrund. Das heißt, mal reichen wenige Aktivitäten und Beteiligte aus, mal ist das BEM aufwendiger zu gestalten. Am Anfang ist es zunächst wichtig, überhaupt aktiv zu werden und ein handhabbares BEM durchzuführen. Weiterentwicklungen und Verbesserungen können dann auch nach und nach aufbauend auf den Umsetzungserfahrungen vorgenommen werden.

 

Für die Umsetzung des BEM in der Praxis empfiehlt sich folgender Ablauf:

Arbeitsunfähigkeitstage feststellen - mehr als 6 Wochen?

Der Arbeitgeber ist für die Feststellung der Dauer der Arbeitsunfähigkeit seiner Mitarbeiter verantwortlich. Erkrankt ein Mitarbeiter, ist von ihm zu prüfen, ob innerhalb der letzten zwölf Monate ununterbrochen oder wiederholt mehr als sechs Wochen krankheitsbedingte Fehlzeiten vorliegen. Mit Zustimmung und Beteiligung des Mitarbeiters kann es in Einzelfällen darüber hinaus auch sinnvoll sein, das BEM bereits zu einem früheren Zeitpunkt durchzuführen.

Die ordnungsgemäße Erfassung der Arbeitsunfähigkeitstage ist in der Praxis demnach von grundlegender Bedeutung. In den meisten Unternehmen wird es zur fortwährenden Überprüfung, ob die Mitarbeiter die 6 Wochen bzw. 42 Tage Arbeitsunfähigkeit erfüllt haben, in der Regel keine technisch automatisierte Lösung geben. Damit ein verspäteter Umsetzungsbeginn des BEM vermieden wird, ist durch den Arbeitgeber jedoch eine regelmäßige Erfassung und Überprüfung der Anzahl der vorliegenden Arbeitsunfähigkeitstage sicherzustellen - beispielsweise unter Verwendung eines Dokumentationsbogens. Dabei ist der 12-monatige Beobachtungszeitraum unabhängig vom Kalenderjahr zu bestimmen. Auch Vorsorge- und Rehabilitations-Maßnahmen sind bei der Berechnung der 6 Wochen-Frist mit zu berücksichtigen. Betroffene, die das BEM abgelehnt haben, sollten vom Arbeitgeber darüber informiert werden, dass sie sich jederzeit anders entscheiden und sich hierzu freiwillig melden können. Nach erneutem Erreichen der 6 Wochen ist vom Arbeitgeber ein weiteres BEM-Angebot zu unterbreiten. Auch hierüber sollten die Beschäftigten vorab aufgeklärt werden.

Kontakt aufnehmen

Vom Arbeitgeber oder von einer von ihm bestimmten Ansprechperson ist Kontakt mit der erkrankten Person aufzunehmen und die Unterstützung bei der Wiedereingliederung in das Arbeitsleben anzubieten. Dabei werden auch Informationen über den Ablauf des BEM im Betrieb vermittelt. Aus Dokumentationserfordernissen empfiehlt sich hier die Schriftform. Innerhalb eines solchen Anschreibens ist vom Arbeitgeber unbedingt auf die Freiwilligkeit der Teilnahme, auf die Wahrung des Datenschutzes sowie auf die Ziele des BEM hinzuweisen. Das  Anschreiben sollte  auch  ein  Antwortschreiben beinhalten,  auf  dem angegeben werden kann, ob eine Teilnahme am BEM  gewünscht  ist  und  mit  wem  das  Gespräch  geführt werden soll. Es empfiehlt sich zudem, den "BEM-Info-Flyer für Beschäftigte" beizulegen. Hierüber können betroffene Beschäftigte sich grundsätzlich über das BEM informieren, um somit eine aufgeklärte Entscheidung über die Annahme des BEM-Angebots treffen zu können.

Auch die Broschüre "Schritt für Schritt zurück in den Job - Betriebliche Eingliederung nach längerer Krankheit - was Sie wissen müssen" wendet sich an Beschäftigte, die länger erkrankt sind. Konkrete Fallbeispiele und ein praktischer Frage-Antwort-Teil vermitteln einen einfachen Zugang zu dem Thema BEM und erleichtern das Verständnis.

Zielführend ist es zudem, einen telefonischen Ansprechpartner zu benennen. Die Beschäftigten haben somit die Möglichkeit, sich zunächst Gedanken zu machen und sich anschließend  telefonisch weitere Informationen einzuholen. Das Vertrauen gegenüber dem BEM kann so weiter befördert werden, und die nächsten Schritte lassen sich konstruktiv und partnerschaftlich umsetzen.

Ist der erkrankte Mitarbeiter mit dem BEM einverstanden, führt der Arbeitgeber ein Erstgespräch mit ihm. Ist er nicht bereit, an der betrieblichen Eingliederung teilzunehmen, endet an dieser Stelle das BEM.

Die betriebliche Interessensvertretungen (Betriebs- und Personalräte) sind, soweit im Betrieb vorhanden, darüber zu informieren, wer zum BEM eingeladen wird, wer ablehnt und wer zustimmt. Selbstverständlich sind auch die Beschäftigten selbst immer vorab darüber zu informieren, wer an Gesprächskreisen teilnimmt. Der Kreis der Gesprächsbeteiligten sollte dabei möglichst klein gehalten werden.

Erstes persönliches Informationsgespräch führen

Das erste Gespräch zielt zunächst darauf ab, eine vertrauensvolle Basis zu schaffen bzw. diese weiter auszuweiten. An diesem ersten Gespräch wie auch an allen nachfolgenden können mit Einverständnis oder auf Wunsch der Beschäftigten weitere Personen und Stellen beteiligt werden. Zu Beginn des Gesprächs wird der betriebliche Ablauf des BEM erläutert und offen gebliebene Fragen beantwortet. Wichtig ist: Das BEM ist kein so genanntes Krankenrückkehrgespräch. Vielmehr handelt es sich um ein Hilfs- und Unterstützungsangebot, bei dem die Überwindung der Arbeitsunfähigkeit und der langfristige Erhalt des Arbeitsplatzes bzw. -verhältnisses als gemeinsames Anliegen im Mittelpunkt stehen.

Beschäftigte können das Verfahren jederzeit ohne Angabe von Gründen beenden. Der Erfolg des BEM hängt somit entscheidend von der Bereitschaft und Mitarbeit des Beschäftigten ab. Es erfolgt zudem eine Aufklärung über den Datenschutz, denn die Betroffenen müssen stets wissen, was mit ihren Daten passiert, wer Einsicht in die Unterlagen hat und wie lange die Daten gespeichert werden.

Hierzu sind die Zustimmung zum BEM und die Datenschutz- wie Schweigepflichterklärung der beteiligten Personen einzuholen. Hat der Beschäftigte eingewilligt, wird das weitere Vorgehen gemeinsam vereinbart. Ansonsten gilt bei Nichterteilung der Einwilligung bzw. Ablehnung des BEM dieses als beendet. Sofern ein BEM eingeleitet wird, werden im nächsten Schritt weiterführende Informationen vom Arbeitgeber gesammelt, um basierend hierauf geeignete Maßnahmen auf den Weg bringen zu können.

Situation erfassen und besprechen

In dieser Phase des BEM ist es wichtig, dass der Arbeitgeber eine ausreichende Planungsgrundlage herstellt. Dementsprechend sind ab diesem Zeitpunkt Nachfragen zu Ursachen, Einschränkungen etc. zulässig. Letztlich ist es jedoch immer die Entscheidung der Beschäftigten, welche Informationen über Ihre Gesundheit sie ihrem Arbeitgeber zur Verfügung stellen. Auf die besondere Schutzwürdigkeit  von Daten/Informationen über  die  Ursachen  der  Arbeitsunfähigkeit, den Behandlungsverlauf, den Gesundheitszustand  und  die Gesundheitsprognose  ist hierbei zu achten. Für weitere als erforderlich angesehene Datenverarbeitungen ist die Einwilligung der betroffenen Person zwingend notwendig. Aus der Einwilligungserklärung muss der Zweck der Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung ("Durchführung des  BEM")  klar  hervorgehen.  Die strikte Zweckbindung  ist vom Arbeitgeber einzuhalten, besonders  wichtig ist:  Die  im  Zusammenhang  mit  dem BEM erhobenen, verarbeiteten oder genutzten Daten dürfen vom Arbeitgeber auf keinen Fall für andere Zwecke verwendet werden. Die Besprechung von medizinischen Aspekten über die aus der Erkrankung resultierenden Einschränkungen hinaus ist in der Regel entbehrlich. Sollte es trotzdem erforderlich werden, medizinische Sachverhalte zu besprechen, bietet es sich an, dass der Arbeitgeber - sofern vorhanden - auch den betriebsärztlichen Dienst hinzuzuzieht. In diesem Fall gilt die (betriebs-)ärztliche Schweigepflicht.

Vom Arbeitgeber werden alle verfügbaren und notwendigen Informationen zusammengetragen. Wesentliche Aspekte sind u.a. die Qualifikation, Stärken, die gesundheitliche Leistungsfähigkeit sowie die Ziele und eigenen Vorstellungen der Beschäftigten.

Inhaltlich werden mehrere Anhaltspunkte abgefragt, die zielführend für die weitere Entwicklung von Maßnahmen sein können, beispielsweise:

  • Bestehen Zusammenhänge zwischen der gesundheitlichen Situation und der Arbeit?
  • Gab bzw. gibt es Probleme am Arbeitsplatz, die als Auslöser für die Erkrankung in Betracht kommen?
  • Welche Einschränkungen  sind  vorhanden?
  • Welches Leistungspotenzial liegt vor? Auf welche Ressourcen kann zurückgegriffen werden?
  • Welche Ideen, Wünsche und Lösungsmöglichkeiten für die Ausgestaltung des BEM werden vorgebracht?
  • Welche Maßnahmen sind hilfreich, sinnvoll und realistisch umsetzbar?

Zudem empfiehlt es sich, die Auswertung der Gefährdungsbeurteilung sowie die Arbeitsplatzanforderungen einzubeziehen. Hilfreiche Tipps, Checklisten und Instrumente zur Gefährdungsbeurteilung gibt es bei der zuständigen Berufsgenossenschaft. Diese kann im Rahmen von Betriebsbegehungen beraten und so eine gute Unterstützung leisten.

An den Eingliederungsgesprächen werden - mit Zustimmung der Betroffenen -  häufig

  • die betrieblichen Interessenvertretungen
  • bei Schwerbehinderten die Schwerbehindertenvertretung
  • falls nötig der Betriebs- oder Werksarzt

beteiligt.

Es können sich

  • betriebsinterne Maßnahmen (z. B. Arbeitsplatzanpassung, Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz, Anpassung des Beschäftigungsumfangs) oder
  • (außerbetriebliche) Maßnahmen der Rehabilitationsträger  bzw. des Integrationsamtes

ergeben.

Zu dem Zeitpunkt, in denen Anhaltspunkte vorliegen, die auf einen etwaigen Bedarf auf Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen schließen lassen, sind durch den Arbeitgeber die Rehabilitationsträger und im Zusammenhang mit schwerbehinderten oder diesen gleichgestellten Menschen das Integrationsamt hinzuzuziehen (vgl. § 167 Abs. 2 Sätze 4,5 SGB IX).

Maßnahmen entwickeln und festlegen

Mögliche Maßnahmen sind vom Arbeitgeber immer mit der betroffenen Person abzusprechen. Es sollten hierbei zunächst sämtliche betriebsinternen Möglichkeiten, wie beispielsweise

Beschaffung oder Einsatz von technischen Hilfsmitteln

  • Anpassung des Arbeitsplatzes
  • Anpassung der Arbeitszeiten
  • die stufenweise Wiedereingliederung

geprüft werden.

Nähere Informationen und Details können auch der Arbeitshilfe "Arbeitsplatzgestaltung durch Technik"  sowie der Arbeitshilfe "Stufenweise Wiedereingliederung" der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR) entnommen werden.

Sollte aufgrund der Erkrankung ein Einsatz am  bisherigen  Arbeitsplatz nicht mehr möglich sein, muss über Alternativen in Form außerbetrieblicher Maßnahmen nachgedacht werden. Zur weiteren Klärung und etwaigen Hinwirkung auf eine frühzeitige Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe (medizinische oder berufliche Rehabilitationsmaßnahmen) sind vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger und bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt einzubinden. Ggf. ergeben sich aus dieser Beteiligung doch noch Möglichkeiten für den Erhalt des Arbeitsplatzes, zum Beispiel über Zuschüsse für Arbeitshilfen im Betrieb. 

Die Träger der sozialen Sicherung und auch weitere für das BEM bedeutsame Partner bieten ein vielfältiges Angebot an Leistungen, Services und Informationen. Orientierung gebende Hinweise hierzu sind zu finden unter "Wo - finden Sie weitere Services und Informationen?".

Gemeinsam werden dann mit Beteiligung der Beschäftigten und unter Berücksichtigung aller Fakten geeignete Maßnahmen vereinbart und in einem Maßnahmenplan durch den Arbeitgeber festgehalten.

Maßnahmen umsetzen

Es muss nicht immer erst gewartet werden, bis ein vollständiger Plan für alle Maßnahmen steht. Es kann durchaus ratsam sein, dass bereits vorab einzelne Maßnahmen getroffen und zeitnah umgesetzt werden.

Hierbei gilt, dass die am Einzelfall beteiligten Personen für eine faire und konstruktive Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen sorgen. Unterstützend begleitet der Arbeitgeber  die betroffene Person während der Durchführung der Maßnahmen. Auftretende Schwierigkeiten werden so möglichst frühzeitig erkannt, und ggf. notwendige Korrekturen werden vorgenommen.

Ist vom Arbeitgeber ein externer Dienstleister beauftragt worden, ist darauf zu achten, dass eine gute Vernetzung mit ggf. weiteren innerbetrieblich Beteiligten gewährleistet ist. Nur so ist sichergestellt, dass die speziell betriebsbezogenen Gegebenheiten umfänglich berücksichtigt werden.

Wirkung überprüfen / Auswertung und Abschluss

Der Arbeitgeber sollte an Terminvereinbarungen zur Überprüfung der Maßnahmen denken. Erzielte Ergebnisse sind vom Arbeitgeber zu bewerten, und es ist festzustellen, inwieweit gesetzte Ziele auch tatsächlich erreicht wurden. Hiernach ist zu entscheiden, ob Anschluss- und / oder Anpassungsmaßnahmen erforderlich sind. Für die Wirksamkeitsüberprüfung sollte der

Arbeitgeber zunächst die BEM-Berechtigten selbst befragen, damit die getroffene Maßnahme abschließend gemeinsam bewertet werden kann.

Waren die Maßnahmen erfolgreich und wurden die gewünschten Ergebnisse erzielt, schließen die Arbeitgeber das BEM insoweit ab. Die Beschäftigten sind bestenfalls erfolgreich wieder eingegliedert. Das BEM gilt auch als abgeschlossen, wenn keine Maßnahmen möglich oder erfolgreich waren. Neben dem Beginn ist auch das Ende des BEM vom Arbeitgeber zu dokumentieren. Alle Beteiligten unterliegen der Schweigepflicht.

Mustervorlagen und Materialien für die praktische Umsetzung finden Sie in der Rubrik

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