Corona-Krise stärkt Stellenwert von Rehabilitation
Vier Fragen an Dr. Susanne Wagenmann
Interview mit Dr. Susanne Wagenmann, Abteilungsleiterin Soziale Sicherung, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und neue Vorstandsvorsitzende der BAR
1. Wie sehen Sie die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Arbeitswelt?
Die Corona-Pandemie ist für unsere Gesellschaft die größte Bewährungsprobe seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Wirtschaftlich sind die Schäden immens: Mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im vergangenen Jahr ist Deutschland in eine tiefe Rezession gerutscht. Gerade in den vom Lockdown besonders betroffenen Branchen kämpfen viele Betriebe um ihr Überleben. Die Auswirkungen dieser Wirtschaftskrise zeigen sich auch auf dem Arbeitsmarkt durch einen großen Umfang an Kurzarbeit und einer gestiegenen Arbeitslosigkeit.
Vor diesem Hintergrund kann man die Leistungen der Betriebe beim wirksamen Arbeits- und Infektionsschutz gar nicht genug wertschätzen. Diesen guten Schutz der Beschäftigten bestätigen auch Studienergebnisse durch neutrale Forschungsinstitute. Beschäftigte berichten über eine hohe Zufriedenheit mit dem Corona-Management und dem Verhalten durch ihre Vorgesetzten. In einem Sachstandsbericht an die Bundesregierung Anfang April konnten die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft den Nachweis erbringen, wie erfolgreich die Betriebe in kürzester Zeit ihren Beschäftigten flächendeckend regelmäßige Corona-Tests anbieten. In einem nächsten Schritt müssen schnellstmöglich Impfungen durch Betriebsärztinnen und Betriebsärzte ermöglicht werden. Betriebe leisten damit einen umfangreichen Beitrag zum Bevölkerungsschutz und zur Pandemiebekämpfung und sorgen dafür, dass die negativen Folgen für die Arbeitswelt möglichst gering bleiben.
Die Corona-Krise bietet aber auch Chancen. Sie hat gezeigt, in welchem Ausmaß eine Digitalisierung möglich oder erforderlich ist. In kürzester Zeit wurde eine technische Infrastruktur aufgebaut, um wegen des notwendigen „social distancings“ mobil arbeiten und Konferenzen und sogar Arztbesuche digital durchführen zu können. Es hat sich aber auch gezeigt, dass – insbesondere im öffentlichen Bereich – noch einige Digitalisierungslücken zu schließen sind. Man sieht es beispielsweise an der fehlenden Digitalisierung der Gesundheitsämter, die eine effiziente Kontaktnachverfolgung erschwert, sowie beim Homeschooling und der fehlenden Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit mobilen Lerngeräten. Auch der öffentliche Dienst konnte seinen Beschäftigten nicht im gleichen Maße mobiles Arbeiten ermöglichen, wie es die Wirtschaft getan hat. Jetzt gilt es, die Chancen zur Digitalisierung auch in diesen Bereichen zu nutzen.
2. Welche Rolle kann die Rehabilitation in der aktuellen Situation spielen?
Erfolgreiche Rehabilitation leistet weiterhin einen wertvollen Beitrag zum Erhalt und zur Wiederherstellung der Beschäftigungsfähigkeit von oft dringend benötigten Arbeits- und Fachkräften. Die durch Arbeitsunfähigkeit entstehenden volkswirtschaftlichen Kosten sind gewaltig. Allein die unmittelbaren Kosten durch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beliefen sich im Jahr 2019 auf 59 Mrd. Euro. Daher ist es wichtig und richtig, die Leistungsfähigkeit des Reha-Systems weiter zu stärken.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Krise könnte der Rehabilitation in Zukunft eine noch größere Bedeutung zukommen. Bereits heute wissen wir, dass ein Teil der Erkrankten an Langzeitfolgen einer Corona-Infektion leiden. Zudem gibt es Hinweise, dass die Pandemie und die damit einhergehenden notwendigen Beschränkungen die Menschen auch psychisch belasten. Auch wenn es zu den Effekten noch keine ausreichende und belastbare Studienlage gibt, könnte es zu einem erhöhten und veränderten Rehabilitationsbedarf führen. Die medizinische und berufliche Rehabilitation wird daher einen wichtigen Beitrag zu Bewältigung der Auswirkungen der Corona-Pandemie leisten.
Und auch hier kann die Digitalisierung, die durch die Corona-Krise einen Schub erhalten hat, einen positiven Effekt entfalten. Neue Arbeitsformen und Technologien können sich auch förderlich auf die Inklusion am Arbeitsmarkt auswirken. Fast 30 Prozent aller Unternehmen sehen nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e. V. (IW) durch die Digitalisierung neue Chancen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen.
3. Wo sehen Sie die Vorteile der sozialen Selbstverwaltung und wie kann sie verbessert und gestärkt werden?
Die Tatsache, dass Arbeitgeber- und Versichertenvertreter in den Organen der Selbstverwaltung partnerschaftlich zusammenwirken, ist von erheblicher Bedeutung. Die Zusammenarbeit dient der praktischen Verwirklichung unseres sozialen Rechtsstaats und dem Erhalt des sozialen Friedens. Tausende in der Selbstverwaltung ehrenamtlich tätige Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitgeber und der Gewerkschaften mit ihren unterschiedlichen Lebens- und Berufserfahrungen ermöglichen ausgewogene und lebensnahe Sachlösungen, bei denen die sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte gleichermaßen berücksichtigt werden.
Die Autonomie der Sozialversicherungsträger ist in den letzten Jahren durch einen gewachsenen Staatseinfluss auf die Sozialversicherung immer weiter beschnitten worden. Damit Versicherte und Arbeitgeber die von ihnen finanzierten Sozialversicherungen verantwortlich und aktiv mitgestalten können, muss dieser Trend umgekehrt werden. Nur so kann die notwendige Staatsferne gewährleistet werden. Gleichwohl ist eine Strategie zu entwickeln, um die Verwaltungseffizienz zu verbessern.
Die Gestaltungsrechte der sozialen Selbstverwaltung sind dort, wo es sinnvoll ist, zu erweitern. Die Verantwortungsbereiche von Gesetzgeber, Ministerialbürokratie und sozialer Selbstverwaltung müssen sachgerecht abgegrenzt sein. Der Staat sollte sich dazu auf den Erlass der Rahmengesetzgebung beschränken und die konkrete Ausgestaltung dieser Gesetzgebung der Selbstverwaltung überlassen. Kranken- und Pflegekassen müssen in Zukunft wieder Vorstandsverträge eigenverantwortlich abschließen können. Die Berufung von hauptamtlichen Geschäftsführern der Sozialversicherung muss ausschließlich in die Zuständigkeit der Selbstverwaltung fallen. Auch die Arbeitslosenversicherung mit Selbstverwaltung handelt aus eigenem Recht auch gegenüber Ministerien und ist keine nachgeordnete Dienstbehörde.
4. Als neue Vorstandsvorsitzende der BAR: Wo sehen Sie mittel- und langfristig die künftigen Aufgabenschwerpunkte der BAR?
Es ist mir eine große Freude im Vorstand der BAR die erfolgreiche Kooperation der vergangenen Jahre nicht nur zwischen den Sozialpartnern sondern auch mit den Reha-Trägern fortsetzen zu dürfen. Die Zusammenarbeit der Reha-Träger werden und müssen wir gemeinsam als Leitmotiv voranbringen. Mit dem Bundesteilhabegesetz und dem Teilhabeverfahrensbericht konnten bereits einige Weichen gestellt werden.
Aber auf dem bereits Erreichten sollten wir uns nicht ausruhen, denn auf Ebene der BAR gehört zur Normalität stets auch ein Ringen um Verbesserungen von Leistungen, der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit, das alle Beteiligten einbindet. Bei einem Leistungsvolumen von 40 Mrd. Euro, die 2019 für Reha und Teilhabe ausgegeben wurden, haben wir in der Rehabilitation für sich genommen längst die Dimension eines ganzen Sozialversicherungszweigs erreicht. Um für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden damit ein Optimum zu erreichen, müssen Reha-Maßnahmen wirtschaftlich eingesetzt werden. Oft helfen Vereinfachungen in der Verwaltung sowohl den Leistungsempfängern als auch der Gemeinschaft der Beitragszahler. Beispielsweise verspreche ich mir von der Entwicklung eines gemeinsamen Grundantrags positive Auswirkungen auf den Zugang, die Transparenz und die Effizienz der Verwaltungsprozesse. Dafür brauchen wir einen langen Atem, Geduld und gemeinsame Verständigung. Denn dicke Bretter bohren sich nicht von selbst, noch werden sie über Nacht gebohrt. Für solche Vorhaben ist die BAR genau die richtige Plattform.