Barrierefreie Arbeitsumgebungen für Schwerhörige

Menschen mit Schwerhörigkeit treffen im Arbeitsleben auf viele Hör-Barrieren. Doch über ihre Probleme und mögliche Lösungen ist in Betrieben kaum etwas bekannt. Das Projekt hörkomm.de hat gemeinsam mit Unternehmen und Experten Lösungsansätze erprobt und einen Leitfaden zur Gestaltung hörfreundlicher Arbeitsplätze entwickelt.

Manuela Seidel hört stets genau zu. Wenn sie sich unterhält, schaut sie ihre Gesprächspartner direkt an und wirkt sehr konzentriert. „Ich galt immer als sehr aufmerksame Zuhörerin“, sagt die Erzieherin. Doch in den vergangenen Jahren war neben dem Interesse am Gesprächsinhalt noch ein anderer Aspekt ausschlaggebend für ihre Konzentration: Sie musste sich beim Zuhören anstrengen, um der Unterhaltung folgen zu können. „Einige Silben habe ich nicht verstanden und musste mir etwas zusammenreimen“, sagt sie heute. Sie versuchte, die Worte dem Sinn nach zu ergänzen oder sie von den Lippen ihres Gegenübers abzulesen. Ohne es zunächst zu bemerken, hatte sich bei ihr eine Schwerhörigkeit entwickelt. Inzwischen trägt die 50-Jährige Hörgeräte. Und doch gibt es Situationen, die das Verstehen extrem beeinträchtigen. Etwa weil Arbeitsräume mit vielen glatten Flächen ausgestattet sind, von denen Schall reflektiert und so Sprache überlagert und verfremdet wird. Auch eine Geräuschkulisse sowie ein vom Zuhörenden weit entfernter Redner erschweren das Verstehen.

Schwerhörigkeit – verbreitet, aber unsichtbar

So wie Manuela Seidel geht es vielen Menschen. Neuere Studien zeigen, dass rund 16 Prozent der Erwachsenen in Deutschland schwerhörig sind. Vor allem Ältere sind betroffen: Laut Deutschem Schwerhörigenbund hat bereits jeder Vierte der 50- bis 59-Jährigen ein Hördefizit. Auch Hörbeeinträchtigungen wie Tinnitus sind weit verbreitet.
Trotzdem sind Hörprobleme in der Arbeitswelt nur selten ein Thema. Dabei können die Folgen einer versteckten Schwerhörigkeit gravierend sein: Sie reichen vom Konflikt im Team bis zu Überlastung und Burn-out. Für die geringe Sichtbarkeit führen Experten mehrere Gründe an: So sind Höreinschränkungen unsichtbar und werden, solange man nicht explizit darauf hinweist, von anderen oft gar nicht wahrgenommen. Auch viele Schwerhörige bemerken ihre Einschränkung nicht sofort. Vor allem die Spätschwerhörigkeit entwickelt sich schleichend.

Als Arbeitgeber aktiv werden

Unternehmen können Einiges tun, um das gute Hören zu unterstützen. Ein Beispiel für die praktische Umsetzung lieferte der Flugzeughersteller Airbus in Hamburg: Um die Kolleginnen und Kollegen auf das Thema Schwerhörigkeit aufmerksam zu machen, veranstaltete die dortige Schwerbehindertenvertretung auf Initiative von hörkomm.de den Aktionstag „Gutes Hören“. Auf ihrem Betriebsgelände konnten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Infoständen über die Thematik informieren und in einem Hörmobil kostenlose Hörtests machen. Die Veranstaltung stieß auf rege Beteiligung, das Hören wurde zum Gesprächsthema und der offensive Umgang ermutigte, eigene Probleme eher anzugehen.

Das Projekt hörkomm.de

Das Projekt hörkomm.de wurde mit Förderung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aufgebaut, um bei der Schaffung hörfreundlicher Arbeitsumgebungen zu unterstützen. Es wurde von 2010 bis 2015 vom Hamburger Forschungsunternehmen DIAS GmbH durchgeführt. Auch wenn die Förderphase schon länger ausgelaufen ist, hat die Thematik nicht an Bedeutung verloren.

www.hörkomm.de – Empfehlungen für die Praxis

Die Durchführung eines Aktionstags „Gutes Hören“ und viele weitere Maßnahmen hat hörkomm.de gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus der Selbsthilfe, der Hörtechnik und Medizin, von Unternehmen und Integrationsämtern entwickelt und erprobt. Auch betriebliche Erfahrungen wurden gesammelt und ausgewertet. Entstanden ist das Informationsportal www.hörkomm.de mit dem Online-Leitfaden „Barrierefrei hören und kommunizieren in der Arbeitswelt“ und vielen betrieblichen Best-Practice-Beispielen. Es richtet sich an Verantwortliche in Unternehmen und Verwaltungen, etwa aus den Bereichen Personal- oder Gesundheitsmanagement, Schwerbehindertenvertretung, sowie an Menschen mit Hördefiziten.
Unterteilt in übersichtliche Rubriken werden konkrete Vorgehensweisen dargestellt und in Checklisten prägnant zusammengefasst. Neben Ideen für eine hörfreundliche Unternehmenskultur erfährt man beispielsweise, wie die Raumakustik verbessert werden kann, warum Schriftdolmetscher und Kommunikationsanlagen wichtige Unterstützungen darstellen und wie Alarmsysteme für höreingeschränkte Menschen beschaffen sein müssen. Der Internetauftritt bietet auch eine Infothek mit weiteren Informationen rund um das Thema Hören. Die Rubrik „Wichtige Adressen“ zum Beispiel listet von Beratungsstellen der Selbsthilfe über Kostenträger bis hin zu Akustikexperten und Anbietern von Höranlagen hilfreiche Ansprechpartner auf. Ein Wissenspool, der die Umsetzung erleichtern soll.