Teilhabe von Menschen mit Hörbehinderung
Das menschliche Ohr ist immer auf Empfang. Der Hörsinn ist als einziger Sinn rund um die Uhr im Einsatz. Dabei werden permanent kleinste Schwingungen wahrgenommen, Geräusche geortet und Nuancen unterschieden. Das Gehör verschafft dem Menschen eine enge Verbindung zur Umwelt und zu anderen Menschen. Ein guter Hörsinn ist eine wichtige Voraussetzung für die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Er gehört im wahrsten Sinne des Wortes dazu und ist die Grundlage zwischenmenschlicher Kommunikation, dient der Orientierung und warnt vor Gefahren. Umso folgenreicher ist es, wenn dieser Sinn nachlässt, ganz verschwindet oder nie da war.
Der Mensch verliert früher oder später an Hörvermögen. Der kontinuierliche Verlust der Hörfähigkeit wie auch aller anderen Sinne ist eine natürliche Folge des Alterns und beginnt bereits zwischen dem 40. und dem 50. Lebensjahr. Im Alter von ca. 80 Jahren leidet dann über die Hälfte der Menschen an erheblicher Schwerhörigkeit. Beschleunigt wird die Schwerhörigkeit aber oft bereits in jungen Jahren durch Lärmbelastungen, durch Krankheiten wie Diabetes, oder durch bestimmte Medikamente und Gifte wie Nikotin. Hinter Arthritis und Herzerkrankungen ist Hörverlust die dritthäufigste körperliche Erkrankung und betrifft Menschen jeden Alters. In Deutschland leben ca. 80.000 Gehörlose. Nach Angaben des Deutschen Schwerhörigenbundes gibt es ca. 16 Millionen Schwerhörige. Ca. 140.000 davon haben einen Grad der Behinderung von mehr als 70 Prozent und sind auf Gebärdensprach-Dolmetscher angewiesen. Und etwa drei Millionen Menschen leiden unter ständigen Ohrgeräuschen, dem Tinnitus.
Formen von Hörbehinderung:
Schwerhörig, ertaubt oder gehörlos? Menschen die „nur“ schlechter hören werden schwerhörig genannt. Hier wird medizinisch in geringe, mittel-, hochgradige sowie an Gehörlosigkeit grenzende Schwerhörigkeit unterschieden. Wenn das Gehör schlechter funktioniert können gut angepasste Hörgeräte und klare Kommunikationsregeln helfen. Wenn ein Mensch sein Gehör im Laufe des Lebens verliert, wird er in der Regel ertaubt genannt. Diese Menschen sind mit der Laut- und Schriftsprache aufgewachsen und können sich häufig in eingeschränktem Rahmen verbal verständigen. Das gelingt durch das sogenannte „Mundabsehen“, allerdings mit einem großen Risiko von Missverständnissen. Wer von Geburt an nicht hört, wächst normalerweise mit Gebärdensprache als Muttersprache auf. Dann spricht man von gehörlosen Menschen. Sie lernen unter erschwerten Bedingungen sprechen und oft nur sehr schwer lesen und schreiben. Allerdings sind gehörlose Menschen sehr selbstbewusst. Gehörlosigkeit ist eng verbunden mit einer eigenen Identität und sogar einer eigenen Kultur. Für diese Personengruppe ist frühe Förderung und Unterstützung durch Gebärdendolmetscher entscheidend.
Abstufungen der Hörfähigkeit
Hören ist, wie alle unsere Sinne, mit dem Gehirn gekoppelt. Die Aufnahme und Verarbeitung akustischer Signale, verknüpft mit unterschiedlichen Erinnerungen und Erfahrungen, kennzeichnen den Prozess des Verstehens. Je weiter der Hörverlust fortgeschritten ist und je länger Schwerhörigkeit besteht, desto stärker kommt es zu degenerativen Abbauprozessen der Nervenzellen in der Hörbahn. Irgendwann ist der Verlust irreversibel, der betroffene Mensch hat faktisch vergessen, wie gehört werden muss. Der Hörbereich eines gesunden Menschen liegt zwischen 0 bis 20 und maximal 20.000 Hertz. Am besten reagiert das Gehör auf die Frequenzen zwischen 500 und 6.000 Hertz. Das ist der Frequenzbereich der menschlichen Sprache. Es gibt mehrere Abstufungen bei der Hörbehinderung, je nach durchschnittlichem Resthörvermögen. Tonhöhe (Frequenz) und Lautstärke (Dezibel) bestimmen die sogenannte Hörschwelle. Das ist die Wahrnehmungsgrenze eines Höreindrucks. Die Hörschwelle ist frequenzabhängig. Bei einer Frequenz von 2.000 Hertz beträgt der Schalldruck eines Normalhörenden 0 dB. Zum Vergleich ist das Ticken einer Armbanduhr etwa 20 Dezibel und ein normales Gespräch 55 Dezibel laut. Normaler Verkehrslärm beträgt etwa 75 Dezibel und eine Autohupe ist auch mit einem Hörverlust von rund 110 Dezibel akustisch noch wahrnehmbar. Auf dieser Grundlage kann man das Ausmaß der Schwerhörigkeit einteilen: Bei einer geringgradigen Schwerhörigkeit kann die betroffene Person erst Töne mit einer Schallintensität von 25 bis 40 dB hören. Menschen mit einer leichten Schwerhörigkeit haben in einer lauten Umgebung Schwierigkeiten, einer Unterhaltung zu folgen. Umgangssprache in normaler Lautstärke wird bei einer Entfernung von einem Meter jedoch noch verstanden. Das Ticken einer Armbanduhr oder Blätterrauschen können akustisch nicht mehr wahrgenommen werden. Eine mittelgradige Schwerhörigkeit beginnt bei einem Hörverlust von 40 dB, dies entspricht etwa den Grundgeräuschen in Wohngebieten. Die betroffene Person kann erst Töne mit einer Schallintensität von 40 bis 60 dB hören. Hochgradige Schwerhörigkeit entsteht bei mindestens 60 dB, dann kann ein Gesprächspartner bei normaler Sprechlautstärke nicht mehr gehört werden. An Gehörlosigkeit grenzende Schwerhörigkeit beginnt bei einem Hörverlust von mehr als 80 dB. Man hört weder laute Musik noch die Geräusche einer Autobahn. Hört man praktisch nichts mehr, ist man gehörlos. Dann beträgt der Hörverlust mehr als 120 dB. Hörverlust kann verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise Infektionen, Entzündungen, Verletzungen übermäßiger Lärm oder Nebenwirkungen von Medikamenten. Schallsignale werden verändert wahrgenommen, die Frequenzen gehen unterschiedlich stark verloren. Das hat Auswirkungen auf das Klangbild und die Qualität der gehörten Sprache.
Leben mit Hörbehinderung
Trotz technischer Hilfsmittel bleiben Menschen mit Hörbehinderung in ihrer Kommunikation dauerhaft eingeschränkt. Wegen der Unsichtbarkeit ihrer Hörbeeinträchtigung stoßen sie oft auf Unverständnis und Ablehnung. Missverständnisse und Hindernisse führen zu Frustration und zum Kaschieren der Probleme. Isolierung und sozialer Rückzug sind die Folge und oft kommt es zum Verlust des Arbeitsplatzes. Die Lebensqualität insgesamt ist dadurch stark eingeschränkt. Gerade die Informationswahrnehmung verlangt Menschen mit Hörbehinderung weit mehr Kraft und Konzentration ab als Normalhörenden. Sie leiden dann schnell an einer kommunikativen Überforderung. Hörgeschädigte nehmen akustische Signale nur bruchstückhaft auf. Ihre Aufmerksamkeit ist fast vollständig darauf ausgerichtet, zunächst das Gesprochene akustisch zu verstehen und die Signale zu unterscheiden. So ist für Menschen mit Hörbehinderung ein gemeinsames Essen im geselligen Kreis oft eine anstrengende und mühselige Angelegenheit. Sie müssen das Gesagte in einem Gespräch erst mühsam zusammenpuzzeln, eine sinnvolle Übersetzung produzieren. In den letzten Jahren fanden mehrere wissenschaftliche Studien zu Gehör und psychosozialem Befinden Hinweise auf den Zusammenhang zwischen Hörverlust, kognitiven Einschränkungen und Depressionen. Das Risiko an einer schweren Depression zu erkranken erhöht sich je Dezibel Hörverlust um fünf Prozent. Und schon ein milder Hörverlust erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine Angststörung um 32 Prozent. Menschen mit Hörbehinderung müssen mehr Ressourcen für die auditive Verarbeitung nutzen. Dadurch leiden andere kognitive Prozesse wie Arbeitsgedächtnis, Merkfähigkeit und Erinnerung.
Teilhabe von Menschen mit Hörbehinderungen
Hörbehinderte Menschen stehen in Alltag, Beruf und Freizeit permanent vor großen Herausforderungen. Unsere Informations- und Kommunikationsgesellschaft steckt gerade für sie voller Barrieren. Mit einer Mischung aus Förderung, Akzeptanz und neuen Technologien können ihre Chancen auf Teilhabe aber deutlich verbessert werden. Für die Teilhabe von Menschen mit Hörbehinderungen ist es zunächst einmal wichtig, die Verständigungsmöglichkeiten zu erweitern. Über individuelle Kommunikationstrainings können Menschen mit Hörbehinderung dahingehend unterstützt werden, dass sie den kommunikativen Anforderungen im sozialen und beruflichen Umfeld gerecht werden. Es geht darum, die verbliebenen Kommunikationsmöglichkeiten besser nutzen zu lernen und neue Kommunikationswege zu erschließen. So unterschiedlich die Auswirkungen von Hörbehinderungen sind, so verschieden ist auch die nötige Unterstützung, wie beispielsweise die Hörgeräteversorgung, die technische Ausstattung am Arbeitsplatz oder der bedarfsgerechte Einsatz von Gebärdensprachendolmetschern. Da eine Hörbehinderung oft mit weiteren Krankheitsbildern wie Erschöpfung und Depressivität einhergeht, muss neben dem kommunikativen Aspekt auch immer die psychologische Belastung berücksichtigt werden. Spezifische Therapien können durch Verhaltenstrainings und Entspannungsverfahren ergänzt werden. Für Menschen mit Hörbehinderung ist es aber auch wichtig, Verständigungssituationen durch eigenes, aktives Verhalten zu gestalten. Wie weise ich soziale Bezugspersonen auf die Besonderheiten meiner Hörschädigung hin? Wie vermeide ich Missverständnisse und Konflikte in der zwischenmenschlichen Kommunikation? Entscheidend ist, wie Menschen mit Hörbehinderung und ihr Umfeld mit der Behinderung umgehen.
Laut WHO gehören Hörstörungen in den Industrieländern zu den sechs häufigsten, die Lebensqualität am meisten beeinträchtigenden Erkrankungen. Selbst geringe Hörstörungen können in einer Welt des rasanten Informationsaustauschs zum Nachteil werden. Wer dem hörsprachlichen Austausch nicht mehr schnell genug folgen kann, ist schnell beruflich, familiär oder sozial isoliert. Für die Unterstützung von Menschen mit Hörbehinderung stehen heute viele neue (technische) Wege zur Verfügung. Sie sollten genutzt werden. Denn sie eröffnen Menschen mit Hörbehinderung immer bessere Hilfen. Problem Nummer 1 ist die Kommunikation mit Hörenden. Hier können alle etwas tun: Verständnis füreinander entwickeln und sich um Verständigung bemühen.