Von der Qualitätssicherung zur qualitätsorientierten Reha-Steuerung

Weit mehr als Pflichterfüllung

Was verstehen wir unter Qualität in der Rehabilitation? Was macht eine gute Reha-Leistung aus? Wie können wir Qualitätsindikatoren zur Steuerung nutzen? Wie können wir von Qualität als Best-Practice-Beispielen lernen? Wie können wir Qualität nachhaltig sichern? Diesen Fragen ging Prof. Dr. Edwin Toepler, Professor für Management der Rehabilitation an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, bei seinem Vortrag am 9. Dezember 2021 vor der Mitgliederversammlung der BAR nach. Die anschließende Diskussion bestätigte die Bedeutung des Themas für den Bereich von Rehabilitation und Teilhabe deutlich.

Virtuelle Welten sind allen zugänglich

Jedes Rehabilitationsverfahren ist in die Zukunft gerichtet, denn es geht um die Erreichung eines bestimmten Rehabilitationsziels. Am Anfang steht deshalb zunächst die Ausgangslage des Rehabilitanden: die Art und Schwere seiner Behinderung und die hieraus resultierenden Einschränkungen für die Teilhabe. Es folgen Fragen nach dem Ziel und wie die Beeinträchtigungen überwunden werden können, wie Teilhabe wiederhergestellt, zumindest aber verbessert werden kann.

Vom Einzelfall zur systematischen Erfassung und Auswertung

Herr J., Landwirt und Gutsbesitzer in Rumänien, kam 2002 nach Deutschland. Arbeit fand Herr J. zunächst als Hilfsarbeiter auf dem Bau und später dann als Sicherheitskraft im Schichtdienst – für einen über Fünfzigjährigen eher keine guten gesundheitlichen Rahmenbedingungen. Hinzu kamen Anpassungsschwierigkeiten in Deutschland. Nach einem ersten Herzinfarkt mit 55 Jahren und einer anschließenden Reha-Maßnahme arbeitete er dann Teilzeit im Nachtdienst. Unausgefüllte Tage, verstärkter Alkoholkonsum und das zunehmende Gefühl, von seiner Familie als alter, kranker Mann behandelt zu werden, trugen vermutlich dazu bei, dass es zu einem zweiten Herzinfarkt kam.
In der zweiten Reha und angeleitet durch „seine Reha-Ärztin“ kam es dann zum Umdenken und zu Überlegungen, wie es mit seinem Leben weitergehen soll. Was würde sein Leben verbessern und was würde ihn glücklich machen? Für Herrn J. war das der Umgang mit Tieren, die er schon in Rumänien züchtete. Und so erwarb er mit Unterstützung seiner Familie ein Grundstück und hält Hasen und Hühner.
Hat J. also eine selbstbestimmte Teilhabe im Sinne des SGB IX erreicht?

Ergebnisse evaluieren und veröffentlichen

Die Rehabilitation hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt, profiliert und professionalisiert. Qualitätsergebnisse der Rehabilitation in Form von Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität dokumentieren Entwicklungen und geben wichtige Hinweise auf ein funktionierendes System. Auch sind Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement schon lange Zeit in der Medizinischen Rehabilitation etabliert. Dennoch mangelt es immer noch an empirischen Bestätigungen zur Wirksamkeit von Reha-Maßnahmen. Es gibt bisher keine Routinedaten zur Teilhabe auf individueller Ebene, wie sie im Fall von Herrn J. geschildert wird. Dabei ist das Messen und Berichten von Erreichtem, von Ergebnissen, so Prof. Toepler, wahrscheinlich der wichtigste Schritt, um Gesundheitssysteme zu reformieren und zu verbessern. Dafür braucht es auch den „Blick über den Tellerrand“, denn bei der Bewertung, was Qualität einer Reha-Leistung ausmacht, sind auch die Sichtweisen des Leistungsträgers, der behandelnden Einrichtung, der kooperierenden Institutionen, der Patientinnen und Patienten bedeutsam. Wenn es um Teilhabe am Arbeitsleben geht, zudem auch die des Arbeitgebers.
Eine erfolgreiche Rehabilitation ist das Ziel aller Verantwortlichen – der Rehabilitationsträger, der Leistungserbringer und natürlich der Betroffenen selbst. Das gilt auch für die Sozialpartner, was die beiden Vorsitzenden des Vorstandes der BAR in der aktuellen Ausgabe der Reha-Stimme der DEGEMED ausführen. Markus Hofmann, DGB, betont, dass die Versichertenseite größten Wert darauf legt, dass die Qualität der Reha-Maßnahmen durchgängig hoch ist und stetig weiterentwickelt wird. Denn nur eine hohe Ergebnisqualität sichere den Reha-Erfolg. Für die Arbeitgeberseite ergänzt Dr. Susanne Wagenmann, BDA: „Die Sozialpartner wirken partnerschaftlich in den Organen der Selbstverwaltung zusammen und sorgen so auch bei den Trägern für qualitativ hochwertige Leistungen einerseits sowie effizienten und wirtschaftlichen Mitteleinsatz andererseits.“
Qualitätsdaten können und sollen stärker als Steuerungsinstrumente genutzt werden: Für die Leistungsträger sind sie Indikatoren für die Belegungssteuerung und Vergütung, für die Leistungserbringer sind sie ein wichtiger Beitrag zur Qualitäts- und Weiterentwicklung der Einrichtung und für die Leistungsempfänger sind sie eine Unterstützung bei der Ausübung ihres Wunsch- und Wahlrechts. Wenn eine selbstbestimmte und umfassende Teilhabe das Qualitätsziel ist, dann stellen sich die Fragen, wie kann diese Qualität gemessen werden und wie lässt sie sich nachhaltig steuern?

Qualitätsorientierte Steuerung

Prof. Toepler spannt den Bogen von der Qualitätssicherung zur qualitätsorientierten Reha-Steuerung und verweist dabei auf das neue Messinstrument aus der Reha-Outcome-Studie, den MOC-Index (Messergebnisse ein Jahr nach der Reha). Dabei sind nicht nur Kriterien wichtig wie physische und psychische Körperfunktionen, Aktivitäten und Par-tizipation, oder berufliche Teilhabe und gesundheitliche Lebensqualität, sondern auch die individuelle Bewertung durch die Rehabilitanden.
Legt man dieses Instrument zugrunde, dann lassen sich im Fall von Herrn J. einige Indizien für die Erreichung individueller Teilhabe erkennen. Die berufliche Teilhabe hat er zwar verfehlt, aber die körperlichen und psychischen Einschränkungen konnten verbessert, Partizipation und Aktivitäten gestärkt werden. Und er bezeichnet sich selbst als zufriedenen Menschen. Im Sinne der Ziele des SGB IX und somit einer bestmöglichen Teilhabe wurde hier also tatsächlich Einiges erreicht.
Voraussetzung dafür, dass Qualitätsmanagement-Verfahren einen Beitrag zur Qualitätssicherung, Qualitätsförderung und Weiterentwicklung leisten, ist, dass sie nicht als reine Pflichterfüllung und notwendiges Übel angesehenen werden. Sie entfalten dann ihre Möglichkeiten, wenn transparent, offen und fair mit ihnen gearbeitet wird. Nach dem Motto: Qualität ist die Verbesserung des Systems durch genaues Hinschauen. Und das lohnt sich. Laut einer Versorgungsstudie der AOK und der DRV Baden-Württemberg aus dem Jahr 2020 lässt sich durch eine Reha nach einem Jahr eine Bruttowertschöpfung von 4.470 Euro  für die Sozialsysteme erzielen.

Best Practice
Wodurch zeichnen sich Kliniken mit überdurchschnittlichem Outcome aus?
  • individuelle Therapieplanung, kleine Gruppen
  • Individuelle Patientenansprache („persönliche“ Betreuer in Pflege, Therapie)
  • Gutes Beschwerdemanagement,
  • Freizeitangebote, Lage, Bausubstanz
  • sozialmedizinische Beurteilung begründen
  • Rhetorisch gute Edukation
  • Individuell erabeitete und formulierte Reha-Ziele
  • Nachsorge einleiten
  • Kommunikation mit Patienten, im Team (einheitl. Sprache, abteilungsübergreifend, Fachtermini für ausländische Fachkräfte)
  • Personalentwicklung (schnell nachbesetzen, Sprachbarrieren abbauen)
  • Qualitätsorientierte Klinikleitung, Führungsstruktur


Quelle: Ergebnisse aus der Reha-QM-Outcome-Studie Requamo II