Deutsche Rheuma-Liga: „Rheumabetroffene brauchen Bewegung – ein Leben lang“
Die Deutsche Rheuma-Liga ist mit 270.000 Mitgliedern eine der größten deutschen Selbsthilfeorganisationen im Gesundheitswesen. Sie berät und informiert rund um das Thema Rheuma und unterstützt die Betroffenen im Leben mit der Erkrankung. Die Organisation von Funktionstraining und weiteren Bewegungsangeboten ist dabei ein zentrales Angebot.
Mit Funktionstraining werden Gymnastikgruppenangebote in der Halle und im Wasser bezeichnet, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit rheumatischen und muskuloskelettalen Erkrankungen zugeschnitten sind. Es umfasst bewegungstherapeutische Übungen, die dem Erhalt und der Verbesserung der Funktionsfähigkeit und dem Hinauszögern von Funktionsverlusten dienen. Es geht beim Funktionstraining auch um die Verringerung von Schmerzen, die Bewegungsverbesserung, den Aufbau von Kraft und Beweglichkeit, die Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung und die Hilfe zur Selbsthilfe.
Funktionstraining hat medizinische wie psychosoziale Aspekte
Mangelnde Bewegung kann für Menschen mit rheumatischen Erkrankungen schwerwiegende Folgen für ihren gesundheitlichen Zustand haben. Deshalb hat die Rheuma-Liga zusammen mit Physiotherapeutinnen und -therapeuten in den 1970er-Jahren das Funktionstraining entwickelt. Feste Strukturen und das gemeinsame Trainieren tragen wesentlich zur Motivierung und Aktivierung der Betroffenen bei.
2019 hat ein Projektteam der SRH Hochschule für Gesundheit und des Karlsruher Instituts für Technologie im Auftrag der Deutschen Rheuma-Liga das Funktionstraining weiterentwickelt. Aktuelle Forschungsergebnisse aus Medizin, Psychologie, Physiotherapie und den Sportwissenschaften sind dabei eingeflossen. Ziel war es, die Bedürfnisse der Trainingsteilnehmer noch besser zu berücksichtigen, sie individuell in ihren Teilhabemöglichkeiten zu unterstützen und dabei ganzheitlich in den Blick zu nehmen. Funktionstraining orientiert sich am bio-psycho-sozialen Modell der ICF.
Rahmenbedingungen für die Durchführung
Funktionstraining wird als ergänzende Leistung zur Rehabilitation nach § 64 Abs.1 Nr. 4 SGB IX zum Beispiel von den Trägern der Krankenversicherung und der Rentenversicherung in Verbindung mit § 43 SGB V bzw. § 28 SGB VI erbracht. Eine auf BAR-Ebene geschlossene Rahmenvereinbarung regelt die Umsetzung. Verordnet wird das Training durch Ärztinnen und Ärzte. Angeleitet wird Funktionstraining bisher überwiegend von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten, teilweise auch von anderen Berufsgruppen. Mit der Neufassung der Rahmenvereinbarung wird seit Januar 2022 auch die Anleitung durch besonders qualifizierte Übungsleiterinnen und Übungsleiter ermöglicht. Organisiert wird das Angebot überwiegend von Ehrenamtlern der Rheuma-Liga vor Ort.
Was den Unterschied macht
Was das Funktionstraining für Menschen mit Rheuma so besonders macht und was das Training mit Selbsthilfe zu tun hat, beantwortet die Physiotherapeutin und Übungsleiterin Christa Fritscher. Die Bewegungsexpertin leitet seit 26 Jahren Gruppen für die Deutsche Rheuma-Liga im Funktionstraining an.
Reha-Info: „Kann das Funktionstraining Schmerzen lindern?“
Fritschler: Ja, das ist eines unserer wichtigsten Ziele im Funktionstraining, unsere Teilnehmenden sind in der Regel Schmerzpatientinnen und -patienten. Menschen mit Schmerzen neigen dazu, sich weniger zu bewegen, in ihrem Zustand zu verharren und damit die komplette Kette von körperlicher Inaktivität bis hin zu Kontaktlosigkeit und Reduzierung der Teilhabe am alltäglichen Leben zu verstärken.
Aus diesen Gründen setze ich die Schwerpunkte im Funktionstraining darauf, Schmerzen zu senken, Bewegung zu initiieren, die Beweglichkeit zu steigern und dann erst neue Kraft aufzubauen. Wenn die Teilnehmenden am Ende des Trainings sagen: „Wie gut, dass ich trotz meiner Schmerzen heute gekommen bin. Jetzt geht es mir wieder besser, ich habe weniger Schmerzen und kann mich auch freier bewegen“, dann bin ich als Leiterin des Trainings zufrieden. Alle, die Funktionstraining anleiten, haben aufgrund ihrer Aus- und Fortbildungen die Möglichkeit, Bewegungsabläufe zu differenzieren und jeden Menschen an seinem Leistungsniveau abzuholen. Dass müssen wir auch, denn die Teilnehmenden in den Funktionstrainingsgruppen sind im Alter und ihren Bewegungsmöglichkeiten sehr unterschiedlich.
Reha-Info: „Was sind Ihre Hilfestellungen und Anregungen für die Teilnehmenden?“
F.: Das Wichtigste am Anfang ist für die Teilnehmenden, Wahrnehmung und Achtsamkeit in die Bewegungsabläufe zu integrieren. Leider ist ebenfalls das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung oft gestört und alle versuchen, es dem Nachbarn oder dem Besten gleich zu tun, anstatt sich auf sich selbst zu konzentrieren und mit körperfreundlicher Bewegung zu beginnen. Das zu unterstützen, ist eine der Hauptaufgaben für uns in der Leitung des Funktionstrainings. Körperfreundliche Bewegungen beginnen übrigens schon mit der Atmung, kleinstem Schulterkreisen. Diese Bewegungen lassen Teilnehmende positive Körperreaktionen erleben, gerade Schmerzpatientinnen und -patienten sind dafür sehr dankbar.
Reha-Info: „Wie kann das Funktionstraining Menschen mit Rheuma motivieren, mehr Bewegung in den Alltag zu integrieren?“
F.: Erfolgserlebnisse steigern Motivation und bringen mehr Bewegung in den Alltag! In diesem Zusammenhang lassen wir die Teilnehmenden Bewegungen erleben, die sie gut ausführen können, und bauen dann weiter darauf auf. Immer mit dem Ziel, das aktuelle Bewegungsniveau zu steigern, zu verbessern. Auch die Wochenaufgabe orientiert sich grundsätzlich an Bewegungen, die wir täglich brauchen, zum Beispiel in den Keller gehen, vom Boden aufstehen. Wichtig für das Funktionstraining ist, dass die Teilnehmenden am Ende der Stunden zufrieden und zuversichtlich in die Woche starten.
Reha-Info: „Funktionstraining ist eine ergänzende Maßnahme zur Rehabilitation. Betroffene sollen unterstützt werden, gleichberechtigt am Leben teilhaben zu können. Welchen Beitrag leistet das Funktionstraining dabei?
F.: Im Funktionstraining agieren wir nach dem Prinzip: beraten, bewegen, begegnen. Wir reden miteinander, tauschen uns aus, ermuntern uns zu neuen Taten. Bis zum nächsten Treffen gehen wir beispielsweise täglich 30 Minuten spazieren oder gehen schwimmen. Bei höherem Leistungsniveau verabreden sich Betroffene vielleicht zu Nordic Walking. Als Therapeutin sehe ich mich in diesem Prozess als Wegbegleiterin. Wir lernen, uns positiv zu motivieren und zu unterstützen, damit wir die alltäglichen Probleme meistern und unseren Alltag genießen können. Auf diese Weise gelingt es bestmöglich, den Erfolg von medizinischen Maßnahmen und Rehabilitationsmaßnahmen zu verstetigen. Das alles verstehen wir unter Hilfe zur Selbsthilfe, wie wir sie im Funktionstraining bei der Rheuma-Liga praktizieren.