Ein (digitaler) Antrag für alle Reha- und Teilhabeleistungen
Projekt „Gemeinsamer Grundantrag“
Selbstbestimmung und eine volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind zentrale Ziele zur Umsetzung der Menschenrechte und der sozialen Rechte von Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohten Menschen (vgl. § 1 Satz 1 SGB IX, § 10 SGB I, UN-Behindertenrechtskonvention). Zur Erreichung dieser Ziele braucht es einen einfachen und ganzheitlichen Zugang zu personenzentrierten Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe sowie die Zusammenarbeit der Akteurinnen und Akteure im System. Hierbei spielt u. a. die Beantragung dieser Leistungen eine wichtige Rolle, an der das Projekt „Gemeinsamer Grundantrag für Reha- und Teilhabeleistungen“ ansetzt.
Zuständig für Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe sind die Reha-Träger, die verschiedenen Trägerbereichen angehören – wie z. B. Kranken-, Renten- oder Unfallversicherung, der Agentur für Arbeit oder dem Träger der Eingliederungshilfe – und für unterschiedliche Leistungsgruppen zuständig sind (§§ 5, 6 SGB IX). Welche Leistung(en) eine Person benötigt ist individuell von den persönlichen Bedarfen abhängig und kann von Person zu Person ganz unterschiedlich sein. Für eine umfassende Bedarfsdeckung können für manche Menschen Leistungen aus verschiedenen Leistungsgruppen in Be-tracht kommen, z. B. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben und/oder zur sozialen Teilhabe. Für diese Leistungen können grundsätzlich mehrere Reha-Träger zuständig sein (z. B. die Krankenkasse und die Agentur für Arbeit). Für schwerbehinderte und diesen gleichgestellte Menschen können zudem Leistungen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben der Integrationsämter relevant sein. Eine große Frage lautet dann: Bei welchem Reha-Träger stelle ich den Antrag und muss ich mehrere Anträge stellen?
Trägerübergreifender Antrag als Grundlage für Leistungen wie aus einer Hand
Auf diese Situation hat der Gesetzgeber mit dem Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) und dessen Weiterentwicklung durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) reagiert. Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, sollen keine Nachteile durch das gegliederte Reha- und Teilhabesystem haben. Das Reha- und Teilhaberecht, insbesondere die unmittelbar verbindlichen und abweichungsfesten Regelungen gemäß §§ 14 ff. SGB IX (siehe § 7 Abs. 2 SGB IX), sollen sicherstellen, dass ein einziger Antrag genügt, damit Leistungen wie „aus einer Hand“ bzw. „nahtlos“ erbracht werden (vgl. u. a. BT-Drs. 18/9522, S. 191, 193, 203). Bislang stehen in der Praxis häufig trägerspezifische Anträge für die jeweils eigenen Leistungen oder Leistungsgruppen zur Verfügung. Das Fehlen eines trägerübergreifend abgestimmten Antrags erschwert Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohten Menschen den Zugang zu ganzheitlichen und personenzentrierten Reha- und Teilhabeleistungen und Reha-Trägern die trägerübergreifende Zusammenarbeit.
Entwicklung eines trägerübergreifenden Antrags durch das Projekt „Gemeinsamer Grundantrag“
Die Mitglieder der BAR e. V. haben sich deshalb gemeinsam dafür entschieden diese Lücke zu schließen, und das vom BMAS geförderte Projekt „Gemeinsamer Grundantrag für Reha- und Teilhabeleistungen“ auf den Weg gebracht. Ziel ist vor allem die kooperative Entwicklung und umfassende Erprobung eines digitalen Prototyps für einen trägerübergreifend abgestimmten Antrag für Reha- und Teilhabeleistungen (im Folgenden „Reha-Antrag“) sowie die Ausarbeitung einer Strategie für dessen schrittweise Implementierung.
Mit einem solchen „Reha-Antrag“ soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen, grundsätzlich alle benötigten Leistungen zur Teilhabe mit nur einem Antrag (digital und barrierefrei) beantragen können. Damit wird ein ganzheitlicher Zugang unabhängig von den individuellen Vorkenntnissen zum Reha- und Teilhabesystem für alle Bürgerinnen und Bürger etabliert. Der „Reha-Antrag“ wird von den Bedarfen der antragstellenden Person ausgehen und ihr die Möglichkeit bieten, ihre persönlichen und spezifischen Bedarfe und Anliegen im Antrag abzubilden. Zugleich schafft ein solcher Antrag eine gemeinsame Grundlage für Reha-Träger, um Leistungen innerhalb der bestehenden gesetzlichen Fristen nahtlos und „wie aus einer Hand“ zu organisieren. So besteht eine trägerübergreifende Basis, die beispielsweise die zügige Überprüfung der eigenen und fremden Zuständigkeit nach Antragseingang, die umfassende Bedarfsermittlung und -feststellung sowie gegebenenfalls frühzeitige Einbindung weiterer Reha-Träger in die Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung erleichtert (vgl. §§ 14 ff. SGB IX).
Gemeinsam Schritt für Schritt in Richtung Ziel
Das Projekt ist auf Grundlage des Vorstandsbeschlusses der BAR-Mitglieder unter Berücksichtigung des Zuwendungsbescheids vom BMAS im Mai 2023 gestartet und endet im Oktober 2025. Für die gemeinsame Zielerreichung ist es allen Beteiligten wichtig, von Beginn an unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen und das Projekt als partizipativen Prozess zu gestalten. Deshalb arbeiten in jeder Projektphase unterschiedliche Akteurinnen und Ak-teure zusammen. Hierzu zählen u.a. Vertreterinnen und Vertreter von Reha-Trägern, IT-Expertinnen und IT-Experten der Träger, Vertreterinnen und Vertreter von weiteren Sozialleistungsträgern, Menschen mit Behinderungen, Leistungserbringern und Beratungsstellen. Diese Zusammenarbeit erfolgt durch vielfältige Formate wie etwa einen Projektbeirat, eine Projektgruppe oder als Teilnehmende an der Erprobung.
In der ersten Projektphase wird ein digitaler Prototyp, also eine erste Version, des gemeinsamen „Reha-Antrags“ entwickelt. In der zweiten Projektphase wird der digitale Prototyp von Nutzenden, wie Menschen mit Behinderungen und Reha-Trägern, umfassend getestet. In dieser Erprobungsphase wird u. a. sichergestellt, dass der digitale Prototyp technisch gut funktioniert, leicht zu verstehen und zu bedienen ist, die Bedarfe der Antragstellenden aufnimmt und von den Reha-Trägern inhaltlich zielführend bearbeitet werden kann. In der dritten Projektphase wird der digitale Prototyp auf Grundlage der Ergebnisse aus der Erprobung optimiert und weiterentwickelt. In der vierten und letzten Projektphase werden alle Ergebnisse zusammengefasst und auf dieser Grundlage nächste Schritte für eine Implementierung zur Umsetzung in der Praxis aufgezeigt. Gemeinsam haben die Projektbeteiligten bereits wichtige Meilensteine erreicht. So konnte nach einer intensiven kooperativen Vorbereitungszeit u. a. ein geeignetes IT-Dienstleistungsunternehmen beauftragt werden, welches die (technische) Entwicklung des Prototyps aufgenommen hat. Damit sind wichtige erste Schritte in Richtung Bürokratieabbau, barrierefreiem ganzheitlichem Zugang zu Reha- und Teilhabeleistungen und der Förderung von Leistungen „wie aus einer Hand“ zur Verwirklichung umfassender gesellschaftlicher Teilhabe getan.
Mut und Kooperation als Schlüssel zum Erfolg
Nicht zuletzt ist hervorzuheben, dass das Projekt eine mutige und kooperative Herangehensweise zur Erreichung der Ziele erfordert. Die anhaltende Unterstützung und Zusammenarbeit im Projekt und sämtlicher Akteurinnen und Akteure im Bereich Rehabilitation und Teilhabe spielen eine zentrale Rolle für den gemeinsamen Erfolg.
Dr. Christiane Goldbach, Carola Penstorf und Daniela Jamin, BAR e. V.