Editorial Reha-Info 02/2021

Liebe Leserin und lieber Leser,

in unruhigen Zeiten, wie wir sie gerade durchleben, treten zurückliegende Ereignisse eher in den Hintergrund. Es gilt, aktuelle Probleme schnell zu lösen – da bleibt kaum Zeit und Muße für Rückbesinnung. Wir haben uns dennoch vorgenommen, ein historisches Thema in dieser Reha-Info als Schwerpunkthema aufzugreifen.

Vor 20 Jahren trat das SGB IX in Kraft. Evolution oder Revolution?
Nein, eine Revolution war es nicht – dann hätte man einer Umstrukturierung des gesamten Systems der Rehabilitation den Vorzug gegeben. Ja, eine Evolution war es schon. Das Prinzip der Selbstverwaltung als Vorteil des gegliederten Systems der vier Sozialversicherungsträger
wurde beibehalten, das Reha-Geschehen selbst und seine Ausgestaltung wurden weiterentwickelt.
Einen zentralen Aspekt der Weiterentwicklung haben die Menschen mit Behinderungen selbst eingebracht. Mit „Nicht über uns, sondern mit uns“ haben die Experten in eigener Sache gefordert und durchgesetzt, dass sie über Organisationen, die auf Bundesebene die Interessen chronisch kranker und behinderter Menschen vertreten, Mitberatungs- und Antragsrechte bekommen. Mit der Verankerung eines Rechtsanspruchs auf Förderung ihrer selbstbestimmten Teilhabe durch Teilhabeleistungen wurde der immer wieder beklagten Wahrnehmung, als Bittsteller behandelt zu werden, entgegengetreten.

Eine lernende Gesetzgebung akzeptiert gesellschaftlichen Wandel, bindet die Menschen, um die es geht, aktiv ein, nimmt Lebenssituationen zum Ausgangspunkt der Hilfeleistung und blickt auf den ganzen Menschen. Mit dem SGB IX und seinen vielen neuen Regelungen hat der Gesetzgeber das politische Ziel vorgegeben.
Es reicht nicht, neue Regeln zu beschließen. Damals wie heute gilt, dass Mitwirkungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen, Beratungsdienstleistungen bis hin zu finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten erst dann mit Leben erfüllt werden, wenn sie genutzt werden. Erfolg und Qualität eines Gesetzes liegen nicht in der 1:1-Umsetzung seiner Vorschriften, sondern in ihrer der Teilhabe von Menschen mit Behinderung dienenden Anwendung.


Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.

Ihre Helga Seel