Inklusion und Teilhabe brauchen Verständigung
Sprache als Wegbereiterin
Inklusive Gesellschaft, Bewusstseinswandel, Paradigmenwechsel, Gleichberechtigung, Perspektivwechsel – mit diesen sprachlichen Begriffen werden zentrale Ziele des SGB IX formuliert. Aber Hand aufs Herz: Wörter sind Schall und Rauch, wenn es nicht gelingt, sie mit Leben zu füllen. So hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel am 17. August 2021 in ihrer Rede beim Empfang des Bundesbehindertenbeauftragten Jürgen Dusel unter anderem ausgeführt: Eine Konvention schaffe noch keine Inklusion und Teilhabe lasse sich nicht alleine gesetzlich vorschreiben; es brauche die Übertragung in die Alltagspraxis. Dafür braucht es Kommunikation und Verständigung.
Das SGB IX hat die Verhältnisse zwischen Verwaltungen untereinander, zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Staat sowie zwischen Verwaltungen und Bürgerinnen und Bürgern neu definiert; darüber hinaus führt das Bundesteilhabegesetz Instrumente ein, die ohne Kommunikation, ohne sich gegenseitig zu verstehen und – wo nötig – sich zu verständigen nicht umzusetzen sind. So formulieren die neuen Instrumente „Bedarfsermittlung“, „Teilhabeplanung“, „Teilhabeplankonferenz“ professionelle Anforderungen an Verwaltungshandeln, die nicht nur die Ausrichtung an den Bedürfnissen, Problemen und Rechten von Menschen mit Behinderung verlangen, sondern deren aktive Beteiligung erfordern.
Das Instrument, das uns hierfür zur Verfügung steht, ist unsere Sprache, mit der wir Verständlichkeit – Verstehen – Verständnis – Verständigung herstellen können, wenn wir sie bewusst und gezielt einsetzen. Die Bandbreite variiert zwischen Fachsprache bis hin zu leichter Sprache und die geeignete Auswahl muss sich nach dem Adressatenkreis richten.
Zugang zu Informationen allein genügt nicht
An einer Gesellschaft teilhaben kann nur, wer Zugriff auf ihre Informations- und Kommunikationsangebote hat und vor allem diese versteht. Das gilt auch für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Man möchte meinen, dass es noch nie so einfach war, in den Themenfeldern Gesundheit, Teilhabe und Rehabilitation an Informationen zu kommen. Studien zeigen allerdings, dass es etwa jedem zweiten Menschen schwerfällt, die Informationen, die er braucht, zu finden und vor allem auch sie zu verstehen.
Die Komplexität unserer modernen Wissensgesellschaft äußert sich oft eben auch sprachlich und rührt an den Aspekt der Verständlichkeit von Texten, von Informationen. Nicht selten erschweren oder verwehren sprachliche Barrieren den Zugang zu Information und damit dann auch zur Kommunikation miteinander. Wenn es an der dafür erforderlichen Verständlichkeit fehlt, dann haben wir es vor allem mit einer Fachsprachenbarriere zu tun.
Verständlichkeit ist keine Selbstverständlichkeit
Was ist eigentlich Verständlichkeit? Dieser allgemeinsprachlich relativ klar erscheinende Begriff entzieht sich einer eindeutigen Definition und einer einheitlichen Verwendung. So viel kann gesagt werden: Wir verstehen immer auf der Basis dessen, was wir schon wissen. Dies betrifft sowohl kognitive Aspekte als auch emotionale Faktoren, formale Kenntnisse und Vertrautheit mit Themen, ebenso wie persönliche Interessen und situationsbezogene Einflüsse. Deshalb kann es eine allgemeingültige Festlegung von Verständlichkeit nicht geben.
Die Forderung nach „Allgemeinverständlichkeit“ wird in besonderem Maße gegenüber Gesetzen und der öffentlichen Verwaltung erhoben. Denn ein Großteil der Information und Kommunikation – schriftlich wie mündlich – folgt noch zu wenig den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen. Anträge, Bewilligungsbescheide, Ablehnungsbescheide sind noch zu sehr juristische Dokumente. Hinter den Stichworten „Bürgernahe Verwaltung“ oder „Behörden-Bürger-Kommunikation“ verbirgt sich auch der Ruf nach Allgemeinverständlichkeit. Auf der einen Seite ist es unrealistisch anzunehmen, dass immer und überall Allgemeinverständlichkeit für alle erzielt werden kann. Auf der anderen Seite kann durch konkrete Maßnahmen eine Anpassung in der Rechts- und Verwaltungssprache erreicht werden.
Prinzipiell sollte es allen Menschen mit Behinderungen ermöglicht werden, auch gegenüber Verwaltungsstellen verschiedenster Art ihre vollen Bürgerrechte wahrzunehmen. Die Verwaltungsstellen sind deshalb gefordert, Informationen, Strukturen und Prozesse so zu gestalten, dass sie von den Menschen verstanden werden und von möglichst allen Menschen genutzt werden können.
Inklusive Verwaltungskultur
Immer noch stellen die verwaltungssprachlichen Texte der Behörden eine Hürde im alltäglichen Leben dar.
Von einer Verwaltungsstelle, die sich auf den Weg macht, diese Voraussetzungen für Menschen mit Behinderungen zu schaffen, werden alle profitieren: in erster Linie die Menschen mit Behinderungen und eben auch die Verwaltungsstellen selbst. Ein abgestimmtes, verständliches Verfahren, das allen Akteuren kommuniziert ist, kommt sowohl Menschen mit Behinderungen wie auch den Mitarbeitenden bei den Reha-Trägern zugute. Im Ergebnis sind weniger Nachfragen und weniger Missverständnisse bei der Informationsverarbeitung und im Verwaltungsvorgang zu erwarten. Gleichzeitig erhöht die Vereinfachung der Sprache das Vertrauen gegenüber den Behörden und verringert bestehende Vorbehalte bei der Inanspruchnahme von Leistungen. Es gibt bereits ausreichend Kriterien und Ideen, wie Bescheide, Broschüren, Informationsmaterialien in einfach verständliche Formen und zugängliche Formate gebracht werden.
Leichte Sprache
Die Wahl der Sprache muss sich am Adressatenkreis ausrichten. Für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ist die Leichte Sprache das geeignete Instrument und auch für diese Zielgruppe muss beim Verfassen von Informationen oder auch im Beratungsprozess die Frage nach Verständlichkeit ständige Begleiterin sein.
Die Angebote in Leichter Sprache sind einerseits noch viel zu gering. Dass sich andererseits aber immer mehr Behörden und Organisationen auf den Weg gemacht haben und sich dafür professioneller Unterstützung durch Institute und Experten in eigener Sache bedienen, ist eine erfreuliche Entwicklung. Wir haben damit bei der BAR bereits sehr positive Erfahrungen gemacht.
Bürokratie abbauen, Orientierung an den tatsächlichen Bedürfnissen, Interesse, verstanden zu werden – dafür sollte noch viel mehr ausprobiert werden, und zwar miteinander!