Zulässige Altersbeschränkung bei Stellenangebot für Assistenzkräfte
„Menschen mit Behinderungen dürfen bei der Suche nach persönlichen Assistentinnen oder Assistenten eine bestimmte Altersgruppe bevorzugen.“
Orientierungssatz*
Menschen, die aufgrund einer Behinderung auf Unterstu?tzung im Alltag angewiesen sind, haben mit Blick auf das Alter der Assistenzkraft die freie Wahl und somit Anspruch auf gleichaltrige Assistenz.
EuGH, Urteil vom 7.12.2023 – C-518/22
Sachverhalt und Entscheidungsgru?nde
Dem EuGH lag der Fall einer 28 Jahre alten Studentin vor, die körperlich dauerhaft eingeschränkt und daher in allen Lebensbereichen des Alltags auf Unterstützung angewiesen ist; diese Unterstützung erhält sie durch professionelle Assistenz. Die entscheidende Fragestellung war: Inwieweit können der Schutz vor Diskriminierung wegen des Alters einerseits und der Schutz vor Diskriminierung wegen einer Behinderung im Hinblick auf die Richtlinie 2000/78 bzw. die hierfür bestehenden Gewährleistungen andererseits in Einklang gebracht werden?
Die hier beklagte AP Assistenzprofis GmbH ist auf Assistenz- und Beratungsdienstleistungen für Menschen mit Behinderungen spezialisiert. Im Jahr 2018 suchte sie persönliche Assistentinnen für eine betroffene Studentin für eine Unterstützung in allen Lebensbereichen ihres Alltags. Die Studentin wünschte sich Bewerberinnen, die „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein sollten“. Eine etwa 50-jährige abgelehnte Bewerberin sah sich deshalb wegen ihres Alters diskriminiert und forderte eine Entschädigung nach AGG (§ 15 Abs. 2). Der Fall ging im Zuge eines Vorabentscheidungsersuchens des BAG (Beschl. v. 24.02.2022 – 8 AZR 208/21 (A)) bis zum EuGH. Dieser gab nun der Beklagten und damit auch der Studentin in ihrem Anliegen Recht, nachdem es den hier einschlägigen Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG im Lichte von Art. 26 EU-Grundrechte-Charta und von Art. 19 der UN-BRK zugunsten des Selbstbestimmungsrechts der leistungsberechtigten Person ausgelegt hat.
Danach dürfen Menschen mit Behinderungen bei der Suche nach persönli-chen Assistentinnen oder Assistenten eine bestimmte Altersgruppe bevorzugen. Da die Begleitung in wesentlichen Lebensbereichen eine enge Bindung und gleiche Ebene zwischen dem behinderten Menschen und seiner Assistenz erfordert, überwiegt der Anspruch des um Unterstützung suchenden Menschen das Recht von Bewerberinnen und Bewerbern auf Gleichstellung, die sich außerhalb des vorgegebenen Altersrahmens befinden. Nach deutschen Rechtsvorschriften (hier: § 8 SGB IX, vgl. aber auch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG) ist ausdrücklich vorgeschrieben, den individuellen Wünschen von Menschen mit Behinderungen bei der Erbringung von Leistungen der persönlichen Assistenz zu entsprechen. Einem geäußerten berechtigten Wunsch des/der zu Begleitenden ist auch in solchen Konstellationen wie hier somit im Interesse der Förderung von dessen/deren Selbstbestimmungsrecht Vorrang einzuräumen.
Die EuGH-Entscheidung unterstreicht im Ergebnis die Bedeutung der zu beachtenden Wünsche von Menschen, die auf persönliche Assistenz (vgl. § 78 SGB IX) angewiesen sind, mit Blick auf die enge Bindung und notwendige Augenhöhe zwischen den Beteiligten des Assistenzverhältnisses. Damit werden auch für diese Leistungsform die grundsätzliche Zielsetzung der Selbstbestimmung (vgl. § 1 SGB IX) und das Wunsch- und Wahlrecht (vgl. § 8 SGB IX) gestärkt.
* Aus Leitsätzen bzw. Orientierungssätzen nach JURIS sowie Entscheidungsgründen, redaktionell abgewandelt und gekürzt