Die Relevanz von Lebenslagen am Beispiel der Behindertenhilfe
In welcher Form spielen Lebenslagen eine Rolle in der Reha-Praxis?
Die Lebenslagen spielen in der Ausgestaltung unserer Einrichtungen und Angebote und in der direkten Begleitung von Klienten eine wichtige Rolle. Die EVIM Gemeinnützige Behindertenhilfe GmbH bietet Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, körperlicher Behinderung und psychischer Erkrankung eine Vielzahl individueller und dezentraler Wohn- und Betreuungsformen, Bildung, Beschäftigung, qualifizierte Arbeitsplätze und Freizeitmöglichkeiten.
Als EVIM Behindertenhilfe legen wir Wert auf einrichtungs- und zielübergreifende Arbeit. Dafür schaffen wir Angebote und Projekte, die allen Klienten – unabhängig von ihrer Betreuungsform – offenstehen und in die auch Personen außerhalb der Behindertenhilfe einbezogen werden.
EVIM hat durch die Teilnahme am Modellprojekt PerSEH (Projekt zur Weiterentwicklung der personenzentrierten, leistungsbasierten Finanzierungssystematik in der Eingliederungshilfe für erwachsene Menschen mit Behinderung) des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen die Möglichkeit bekommen, die Versäulung der Hilfen (stationär, teilstationär, ambulant) in der direkten Betreuung zu flexibilisieren und zu einem großen Teil aufzulösen. Diese Versäulung, durch die Angebote für Klienten an bestimmte Betreuungsformen gebunden sind, werden den individuellen Bedarfen, der Lebenssituation und dem Wunsch und Wahlrecht der Menschen nicht gerecht. Auch die strikte Abgrenzung von Angeboten nach Zielgruppen ist nicht bedarfsorientiert. Es handelt sich nicht um homogene Personenkreise, für die Bedarfe und Lebensformen allgemein abgeleitet werden können.
Durch PerSEH hat die EVIM Behindertenhilfe 2009 ein neues zeitbasiertes Finanzierungsmodell eingeführt. Damit ist die Vergütung der Betreuung in allen Angeboten gleich und Klienten müssen nicht die Wohnform wechseln, um Zugang zu bestimmten Leistungen zu haben. So ist es möglich, dass sie flexibel Leistungen in unterschiedlichen Bausteinen wählen, die ihrer persönlichen Situation und ihrem Bedarf entsprechen. Es kann zum Beispiel jemand Teilzeit einen Arbeitsplatz in der Werkstatt haben, an anderen Tagen die Tagesstätte besuchen oder Angebote aus übergreifenden Beschäftigungs-, Bildungs- und Freizeitprogrammen wählen.
Mit der Einführung von PerSEH sind in der Folge bei EVIM viele dezentrale Wohnmodelle mit unterschiedlichen Betreuungs-Settings entstanden. Durch die Wechselwirkung der Lebensweltgestaltung auf das Verhalten von Klienten und die Erschließung von neuen Möglichkeiten haben viele den Weg in ein selbständigeres und selbstbestimmteres Leben geschafft.
Unser Ziel bei der Gestaltung von Unterstützungsformen ist die größtmögliche Orientierung an Normalität, auch bei hohem Unterstützungsbedarf.
Wie hängen die ICF und das Lebenslagenmodell zusammen?
Der personenzentrierte Ansatz im Rahmen von PerSEH wurde mit der Einführung des Integrierten Teilhabeplans (ITP) in Hessen konsequent verstärkt. Der ITP ist das Instrument, mit dem der individuelle Unterstützungsbedarf einer Person anhand seiner Ziele erhoben wird. Es stellt einen Paradigmenwechsel dar, dass die benötigte Unterstützungszeit zur Zielerreichung finanziert wird und nicht der am Defizit und an der Zielgruppe orientierte Betreuungsbedarf.
Bei der Erstellung des ITP geht es um den Prozess der individuellen Ziel- und Lebensplanung gemeinsam mit dem Betroffenen. Dafür bedarf es der Analyse seiner persönlichen Situation und seiner Biografie unter Einbeziehung der Umfeldfaktoren und der eigenen Wünsche und Möglichkeiten. Dazu werden im Einzelfall zusätzliche Methoden eingesetzt, z. B. Zukunftskonferenzen, Familienschatzkarten etc. Insbesondere bei Menschen, die sich nicht oder schwer äußern können, ist es besonders wichtig, alle wichtigen Personen im Umfeld einzubeziehen. Im Prozess sind uns Sozialraumorientierung und die Einbindung von Klienten in unterschiedliche soziale Bezüge und Rollen wichtig.
Auf der Basis des ITP werden mit den Klienten Angebote und Aktivitäten für einen definierten Zeitraum vereinbart, die für beide Seiten verbindlich sind. Danach findet eine Überprüfung und gegebenenfalls eine Anpassung statt. Wichtig ist daher die Festlegung von Indikatoren, an denen eine Zielerreichung gemessen werden kann. Grundsätzlich ist es bei der Veränderung der Lebenslage wichtig, den Teilhabeplan neu abzustimmen. Nur wenn Bedarf und Angebote jederzeit flexibel angepasst werden können, ist zu gewährleisten, dass ein Klient die Unterstützung bekommt, die er braucht, um seine Ziele zu erreichen.