Neue höchstrichterliche Rechtsprechung zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM – als Teil betrieblicher Prävention) ist ein wesentlicher Baustein zur Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben. Die komplexe Norm des § 84 Abs. 2 SGB IX ist seit ihrem Inkrafttreten 2004 sukzessive durch höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) praxisverbindlich ausgestaltet worden. Besonders relevante Kernaussagen aus der Rechtsprechung des BAG sind bereits in der Reha-Info 2/2015 vorgestellt worden. Seither sind weitere bedeutsame Urteile ergangen, deren Kernaussagen* nachfolgend wiedergegeben werden:
Die Einführung eines BEM im Unternehmen unterliegt dem Grunde nach der Mitbestimmung nach § 87 BetrVG. Der Umfang der Mitbestimmung ist u.a. abhängig von der konkreten Frage der betrieblichen Ausgestaltung des BEM.
Der Betriebsrat hat ein Initiativrecht zur Ausgestaltung des Klärungsprozesses nach § 84 Abs. 2 SGB IX. Bei Dissens mit dem Arbeitgeber kann dieses allerdings nur in engen Grenzen durchgesetzt werden. Jedenfalls können über den Weg der Einigungsstelle (§ 76 BetrVG) nicht Detailregelungen zu folgenden Aspekten durchgesetzt werden: Allgemeine Information der Beschäftigten über das BEM, Bildung einesIntegrationsteams, Wirksamkeits- und Qualitätsprüfung von BEM-Maßnahmen, Einzelheiten zur innerbetrieblichen Begleitung einer stufenweisen Wiedereingliederung, Anwesenheitsrechte des Betriebsrats beim Erstgespräch mit dem Beschäftigten ohne dessen Zustimmung.
BAG, Beschluss v. 22.03.2016 – 1 ABR 14/14
Ein BEM kommt nur dann nicht als milderes Mittel zur Vermeidung einer krankheitsbedingten Kündigung in Betracht, wenn es objektiv aussichtslos ist. Die Aussichtslosigkeit ist im Streitfall vom Arbeitgeber vorzutragen und zu beweisen. Der Hinweis darauf, dass dem Beschäftigten eine EM-Rente bewilligt wurde, reicht dafür für sich genommen nicht aus. Es bedarf weiterer Ausführungen. Wird ein BEM nicht ordnungsgemäß angeboten oder durchgeführt, erhöhen sich die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers bezüglich der objektiven Nutzlosigkeit eines BEM.
BAG, Urteil v. 13.05.2015 – 2 AZR 565/14;
BAG, Urteil v. 16.07.2015 – 2 AZR 15/15
Nicht jede Einladung eines Beschäftigten zu einem Personalgespräch während einer Arbeitsunfähigkeit ist als Teil eines BEM zu werten, das von der Zustimmung des Beschäftigten abhängen würde. Maßgeblich istinsoweit der konkrete Zweck des Gesprächs. Dieses darf auch nicht auf einen Zeitpunkt nach AU-Beendigung aufschiebbar und muss dem Beschäftigten zumutbar sein.
Das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf leistungssichernde Neben-, Verhaltens- oder Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 1 und Abs. 2 BGB und auf Unterlassungspflichten des Beschäftigten bleibt von dessen Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich unberührt.
Wegen der Rücksichtnahmepflichten gegenüberdem Beschäftigten ist eine Einladung zu einem Personalgespräch während einer Arbeitsunfähigkeit allerdings nur in Ausnahmefällen eine – bei Weigerung des Arbeitnehmers abmahnfähige – Weisung des Arbeitgebers zur Gesprächsteilnahme. Eine entsprechende Weisung kommt nur in Betracht, wenn dringende betriebliche Gründe die persönliche Anwesenheit des Beschäftigten noch während der Arbeitsunfähigkeit erfordern. Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt der Arbeitgeber.
BAG, Urteil v. 02.11.2016 – 10 AZR 596/15