Inanspruchnahme eines Integrationshelfers bei Betreuung in einer offenen Ganztagsschule
Orientierungssätze
- Maßgebend für die Abgrenzung von Hilfen zur angemessenen Schulbildung und Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind die mit den Angeboten der offenen Ganztagsschule verfolgten Ziele.
- Ein außerunterrichtliches schulisches Angebot kann eine Integrationshilfe zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der Eingliederungshilfe sein.
BSG, Urteil vom 06.12.2018, Az.: B 8 SO 7/17 R
* Leitsätze des Gerichts bzw. Orientierungssätze/Entscheidungsgründe nach JURIS, redaktionell abgewandelt und gekürzt
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Der schwerbehinderte, mit dem sog. Down-Syndrom geborene Kläger nahm seit September 2013 mit Unterstützung einer Integrationskraft an seiner Schule vormittags am regulären Unterricht und nachmittags am Betreuungsprogramm der offenen Ganztagsschule (OGS) teil. Das Schulamt des kommunalen Trägers (Beklagte) stellte einen sonderpädagogischen Förderbedarf fest. Den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme für einen Integrationshelfer als Hilfe zur angemessenen Schulbildung (nach neuer Rechtslage Leistung zur Teilhabe an Bildung) lehnte die Beklagte hinsichtlich der OGS für den Nachmittag ab. Einkommens- und vermögensabhängige Leistungen zur – nach neuer Rechtslage – sozialen Teilhabe wurden nicht begehrt. Nach Obsiegen in der ersten Instanz wurde die Klage in zweiter Instanz abgewiesen.
Das BSG hat der Revision stattgegeben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Im Wesentlichen legt das BSG dar, dass in der Sache als Rechtsgrundlage für die begehrte Leistung § 53 Abs. 1 S. 1, § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII (iVm § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-V; ab 1.1.2020 vgl. § 99, § 112 Abs. 1 SGB IX n.F.) in Betracht komme. Maßgebend für die Abgrenzung der Hilfen zur angemessenen Schulbildung (Leistungen zur Teilhabe an Bildung, § 5 Nr. 4 SGB IX) und der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft bzw. zur sozialen Teilhabe (§ 5 Nr. 5 SGB IX) sind laut BSG die mit der OGS verfolgten Ziele. Die Entscheidung darüber, was für das einzelne Kind eine „angemessene“ Schulbildung darstelle, obliege dabei der Schulverwaltung (festgestellter sonderpädagogischer Förderbedarf); der Träger der Eingliederungshilfe sei an die Entscheidung der Schulverwaltung gebunden. Nach Klärung der Zielrichtung müsse die Eignung der OGS zur Erreichung der sonderpädagogischen Förderbedarfe und damit zusammenhängend für die Integrationshilfe geprüft werden. Zu Grunde zu legen seien im Sinne eines individualisierten Förderverständnisses die individuellen körperlichen und geistigen Verhältnisse des Menschen mit Behinderung. Vor diesem Hintergrund führt das Gericht aus, dass auch ein außerunterrichtliches schulisches Nachmittagsangebot in Form der OGS im Hinblick auf den konkreten Förderbedarf des behinderten Schülers eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung sein könne. Vorliegend spreche insgesamt vieles für eine an der angemessenen Schulbildung ausgerichtete Hilfe, da der OGS ein pädagogisches Konzept zugrunde liege und es darauf ausgerichtet sei, einen positiven Einfluss auf den Schulerfolg zu erreichen. Auch hebt das BSG hervor, dass mit dem BTHG die Unterstützung schulischer Ganztagsangebote in der offenen Form in § 112 Abs. 1 S. 2 SGB IX (ab 1.1.2020) – unter den dort genannten Voraussetzungen – ausdrücklich als Leistung zur Teilhabe an Bildung genannt werde.
Das Urteil verdeutlicht, dass zur rechtlichen Einordnung außerunterrichtlicher Angebote – als Leistungen zur Teilhabe an Bildung oder Leistungen zur sozialen Teilhabe – die individuell angestrebten Ziele entscheidend sind. Die Zuordnung hat u.a. Auswirkungen darauf, inwiefern Leistungsberechtigte einen Beitrag zu den Aufwendungen leisten müssen (vgl. § 138 Abs. 1 SGB IX n.F.). Vorliegende BSG-Entscheidung ist auch vor dem Hintergrund der Förderung inklusiver schulischer Bildungsangebote zu sehen.