Wie lässt sich gleichberechtigte Teilhabe aller erreichen?
3 Fragen an Prof. Dr. Christian Bühler
1. Welche sozial- und gesellschaftspolitische Relevanz haben aus Ihrer Sicht die Themen Partizipation und Barrierefreiheit?
Die gleichberechtigte Teilhabe (Partizipation) aller Bürgerinnen und Bürger ist ein gesellschaftspolitisches Ziel, das in Deutschland alle demokratischen Parteien und eine breite Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Für Menschen mit Behinderungen sollte das natürlich auch gelten und umgesetzt werden. Sie sind ein Teil unserer Gesellschaft und ihre Teilhabe und Mitwirkung in allen Bereichen sind ein wichtiger Beitrag.
Sozialpolitisch gewinnt das Bedeutung, wenn man sich verdeutlicht, dass ihre Teilhabe an Ausbildung, Arbeit und Gesellschaft nicht nur aus grundsätzlichen Erwägungen, sondern auch aus Kostengesichtspunkten richtig ist. Andererseits macht es sehr viel Sinn, die Menschen mit Behinderungen als Expertinnen und Experten in eigener Sache in sozialpolitische Prozesse einzubinden und so ihre Erfahrungen und Bedarfe gezielt adressieren zu können.
Barrierefreiheit ist dabei eine notwendige Voraussetzung, die Teilhabe zu ermöglichen. Nur wenn der barrierefreie Zugang zur physischen Umgebung, zu den modernen digitalen Techniken und den Dienstleistungen des Staates, der Behörden, der Sozialleistungsträger und der privaten Anbieter ermöglicht wird, kann die Teilhabe auch realisiert werden. Mangelnde Barrierefreiheit schafft Exklusion und Benachteiligung und behindert Menschen bei der Ausübung der Grundrechte. Im Übrigen nutzt Barrierefreiheit in vielen Fällen allen Menschen und schafft eine bessere Qualität der Angebote. Gerade in einer älter werdenden Gesellschaft wird das immer relevanter.
2. Wo besteht aktueller Handlungs- und / oder Forschungsbedarf?
Handlungsbedarf besteht in allen Anwendungsbereichen, aber auch in der Gesellschaft insgesamt und in der Politik. Das ergibt sich einerseits daraus, dass in vielen Bereichen massive Umsetzungslücken bei der Schaffung von Barrierefreiheit bestehen, insbesondere im Bestand. Im privatwirtschaftlichen Bereich gibt es oft erhebliche Barrieren, auch weil da der Gesetzgeber sehr zurückhaltend bleibt. Andererseits ändern sich die Randbedingungen in unserer Gesellschaft. Die Technik bietet neue Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen. Digitalisierung zieht in alle Lebensbereiche ein und wer da nicht dabei sein kann, wird von Exklusion bedroht. Aber auch die Bevölkerung und die Menschen verändern sich. Neben der demographischen Alterung und den damit verbundenen altersbedingten Einschränkungen gibt es Zuzug, sich verändernde Lebensgewohnheiten und mehr Menschen mit hohem Gewicht oder besonders große Menschen. Das verändert mittelfristig die Anforderungen.
Daraus ergibt sich auch ein dauernder Forschungsbedarf, etwa:
- Änderung von Barrierefreiheitsanforderungen (z. B. im Bau: Türbreiten und Höhen; im Digitalen: Internetlösungen, Software; im Verkehr: Einstiege und Sicherung während der Fahrt; usw.)
- Digitalisierung (neue Barrieren: Videokonferenzen, Online-Tools, Verständlichkeit)
- Technikgestützte Barrierefreiheit (KI für Leichte Sprache und DGS Avatare, Virtuelle Orientierungs- und Leitsysteme, individualisierbare Internetlösungen usw.)
- Psychische Behinderung (Problemlagen, Lösungsansätze, Standards)
- Ökonomische Aspekte Kosten / Nutzen Prioritäten
3. Welche Rolle sollten relevante Akteure in der Rehabilitation und Sozialpartner sowie Wissenschaft und Forschung einnehmen, um den Prozess hin zu einer Gesellschaft ohne Barrieren zu verwirklichen?
Es gibt eine ganze Reihe von Aufgaben, die im Prozess zur Verwirklichung von Barrierefreiheit erledigt werden müssen. Und wir alle sind dabei gefragt. Vorweg sei gesagt, dass die Umsetzung von Barrierefreiheit immer vor Ort nahe bei den Menschen erfolgen muss. Jede Institution, jede Firma, jede Kommune, jeder Sozialpartner, die Wissenschaft und wir alle können und sollten dabei mitwirken. Die Grundlage bildet immer der Bedarf der Menschen mit Behinderungen, den sie selbst als Expertinnen und Experten in eigener Sache am besten kennen. Wir alle müssen als erstes da genau hinhören.
Natürlich ist Zusammenarbeit hier gefragt und alle Akteure sollten in der einen oder anderen Form bei den anstehenden Aufgaben mitwirken. Eine ungefähre Einschätzung, wer bei welchen Aufgaben beteiligt sein könnte, ist am besten tabellarisch darzustellen (vgl. Tab.1).
Das „BAR-Forum Barrierefreiheit“, das aus der 40-jährigen Arbeit der „BAR-Arbeitsgruppe barrierefreie Umweltgestaltung“ hervorgegangen ist, kann hier mit seiner interdiziplinären und interinstitutionellen Aufstellung mithelfen, diese Zusammenarbeit zu befördern.