"Für mich ist der Roboter toll"
Inklusion am Arbeitsplatz durch Mensch-Roboter-Kollaboration
Kann kollaborative Robotik leistungsgeminderten Menschen und Menschen mit Schwer-Mehrfachbehinderungen neue und erweiterte Perspektiveren am Arbeitsmarkt ermöglichen? Lässt sich damit Inklusion am Arbeitsmarkt umsetzen? Diesen Fragen hat sich ein Team des Instituts für Getriebetechnik, Maschinendynamik und Robotik (IGMR) der RWTH Aachen University unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Mathias Hüsing verschrieben. In mehreren Projekten konnte beeindruckend gezeigt werden: Ja, kollaborative Robotik ist ein Enabler, also ein Möglichmacher, der Inklusion am Arbeitsmarkt.
Was war die Ausgangslage?
Zunächst die Ausgangssituation: Auf der einen Seite leiden leistungsgeminderte und schwermehrfachbehinderte Menschen unter starken, meist physischen, Einschränkungen. Sie haben den Wunsch nach gleichberechtigter Teilhabe am Arbeitsleben, werden aber von Unternehmen kaum beachtet und haben somit nur eine geringe Chance auf eine gleichgestellte Teilhabe am Arbeitsmarkt. Auf der anderen Seite steht die kollaborative Robotik. Kollaborative Roboter sind in der Lage Arbeitsaufgaben, sicher und zuverlässig, in Zusammenarbeit mit Menschen zu vollführen. Sie sind einfach und intuitiv bedienbar.
Doch was macht kollaborative Roboterarbeitsplätze inklusiv?
Das IGMR hat eine Methode entwickelt, inklusive Roboterarbeitsplätze zu gestalten. Diese beruht auf einem Profilvergleich der Fähigkeiten des Menschen und den Anforderungen, die aus dem Arbeitsprozess abgeleitet werden. Die individuellen Fähigkeiten werden basierend auf dem IMBA-Verfahren (Integration von Menschen mit Behinderungen in der Arbeitswelt) ermittelt. Mittels einer technischen Prozessanalyse werden Anforderungsprofile erstellt. Potenzielle inklusive Tätigkeiten umfassen bspw. Verpackungs-, Montage- oder Qualitätssicherungsaufgaben. Über die Gegenüberstellung der Fähigkeiten und der Prozessanforderungen können dann individuelle Unterstützungsbedarfe und Hilfsmittel abgeleitet werden. Ganz wesentlich ist dazu das personenzentrierte Vorgehen, individualisiert für Menschen mit Schwer-Mehrfachbehinderungen. Dieses wurde in einem Leitfaden zur Umsetzung eines Mensch-Roboter-Arbeitsplatzes für Menschen mit Behinderungen festgehalten.
Was konnte konkret umgesetzt werden?
In einem Projekt mit der Ford-Werke GmbH und dem Landschaftsverband Rheinland (LVR) konnte ein einzigartiger kollaborativer und inklusiver Roboterarbeitsplatz erfolgreich umgesetzt werden. Ein kollaborativer Roboter arbeitet nun taktgebunden im Linienfluss und in Zusammenarbeit mit leistungsgeminderten Menschen im Kölner Motorenwerk des Automobilherstellers. Dort setzt er gemeinsam mit seinem menschlichen Partner Magnetspulen in einen Öler ein, nimmt die Magnetspulen anschließend auf und presst sie in den Stirndeckel des Motorblocks. Diese Arbeit erfordert große Kräfte, die selbst für gesunde Arbeitnehmer auf Dauer belastend sind. Diese übernimmt nun der Roboter. Bei den Mitarbeitenden handelt es sich um Personen mit Schulter- und Handgelenksproblemen. So konnten mit dem neuen Roboterarbeitsplatz zwei Beschäftigte mit Schwerbehinderung in den regulären Arbeitsbetrieb inkludiert werden.
"Gemeinsam haben wir einen einzigartigen kollaborativen Arbeitsplatz in der Industrie umgesetzt. Ich kenne kaum solch erfolgreich umgesetzte Kollaborationsarbeitsplätze", erklärt Professor Mathias Hüsing: "Warum dieser Mangel? Die menschenzentrierte Arbeitsplatzplanung unter Berücksichtigung von Montageaufgaben, technischen Möglichkeiten und Sicherheitsanforderungen ist [noch] nicht etabliert. Unsere Forschung im Bereich kollaborativer Prozessplanung fokussiert dieses. Inzwischen setzen wir Kollaborationsarbeitsplätze erfolgreich bei anderen Projekten um, wo es darum geht, Arbeitsplätze für Menschen mit Schwer-Mehrfachbehinderungen mit Unterstützung von kollaborierenden Robotern einzurichten."
Hier spricht Professor Hüsing als Motivator und Initiator das Projekts "Next Generation – Mit flexiblen Roboterlösungen inklusive Arbeit entwickeln". Gemeinsam mit den Partnern Caritas Wertarbeit Köln sowie der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) konnten in diesem Projekt mehrere inklusive Arbeitsplätze für insgesamt zwölf schwer-mehrfachbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 90 bis 100 umgesetzt und etabliert werden. Das Durchschnittsalter der Mitarbeitenden betrug 34 Jahre. Fünf der zwölf Beschäftigten gingen einer regulären Arbeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) nach, die anderen Teilnehmenden waren aufgrund ihrer Einschränkungen zu keiner selbstständigen Arbeit fähig. Die Einschränkungen bestanden in einer Cerebralparese mit Teillähmung beider Beine und des rechten oder linken Armes und wirken sich auf den gesamten Körper aus. Alle Teilnehmenden des Projektes waren auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Motorik, vor allem die Feinmotorik, war bei den Teilnehmenden behinderungsbedingt eingeschränkt.
"Das Wichtigste für mich ist in der Zusammenarbeit mit dem Roboter, dass ich selbstständig arbeiten kann. Ich will nicht immer auf Hilfe angewiesen sein", so Teilnehmer Daniel.
Alexandra prüft Metallringe hinsichtlich der Qualität und muss entscheiden, ob die Teile in Ordnung sind oder aussortiert werden müssen. Dabei hilft ihr ein Roboter, der ihr die Teile zeigt, damit sie eine Entscheidung treffen kann.
Für mich ist der Roboter toll, weil ich damit aktiv alleine arbeiten kann – ohne Hilfe.“, so Alexandra: „Ich habe durch das Projekt gemerkt: Es geht. Aber es sollte mehr davon geben, dass die anderen Leute auch gefördert werden“.
Diese Aussage ist die Motivation für das IGMR-Team. Das IGMR startet, gefördert durch den Ausgleichsfond des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, ein Aufklärungs- und Fortbildungsprojekt. Das Projekt IIDEA (Inklusion und Integration durch kollaborative Robotik auf dem ersten Arbeitsmarkt) startet dieses Frühjahr. Mithilfe eines Infomobils und mobilen Roboterarbeitsplätzen werden über fünf Jahre inklusive Arbeitsplätze deutschlandweit umgesetzt und dabei Aufmerksamkeit für die Inklusion Schwer-Mehrfachbehinderter durch kollaborative Roboter erzeugt. Zu diesem Zweck wird ein Netzwerk von Interessenten etabliert.
Kontaktdaten und weitere Informationen finden Sie unter www.igmr.rwth-aachen.de. Direkte Beteiligung an Projekt und Netzwerk sind erwünscht! |