Zuständigkeit für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) in einer WfbM bei rückwirkender Bewilligung einer EM-Rente

Orientierungssatz*
Die rückwirkende Bewilligung einer EM-Rente bedeutet nicht, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI (Bezug einer EM-Rente bei Antragstellung) rückwirkend als gegeben gelten.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI (Vermeidung einer EM-Rente durch die beantragte Leistung) sind dann gegeben, wenn die Befähigung des Versicherten zu einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch die beantragte Leistung voraussichtlich (wieder)hergestellt bzw. erhalten werden kann.
BSG, Urt. v. 08.08.2024 – B 5 R 15/22 R

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Ein Versicherter beantragte im Juni 2013 eine EM-Rente bei der DRV. Während des folgenden Klageverfahrens beantragte er im November 2015 zudem LTA in einer WfbM bei der DRV. Diese leitete den Antrag mangels Vorliegens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen an die BA fristgerecht weiter. Die BA bewilligte im April 2016 LTA in einer WfbM (Eingangsbereich vom 01.08. bis 31.10.2016; anschließend Berufsbildungsbereich bis 31.10.2018) und meldete mit Blick auf das EM-Rentenverfahren zugleich einen Erstattungsanspruch bei der DRV an. Im Juli 2017 wurde eine Rente wegen voller EM rückwirkend ab Juni 2013 bewilligt. Die BA forderte von der DRV Erstattung der Kosten für die erbrachten LTA in der WfbM. Der entsprechenden Erstattungsklage gab das SG statt, das LSG hob die Entscheidung auf.

 

Das BSG wies die Revision der BA zurück. Eine Erstattung komme allein nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. (vgl. jetzt §§ 16 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) in Betracht. Dies setzt voraus, dass nach Bewilligung der Leistung durch einen vorleistenden Träger die Zuständigkeit eines anderen Trägers festgestellt wird. Die DRV war laut BSG aber für die WfbM-Leistungen im streitbefangenen Zeitraum nicht zuständig. Eine Zuständigkeit der DRV nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI liegt hier laut BSG nicht vor. Insbesondere der Wortlaut („…eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen“) setze die Auszahlung, zumindest aber die Bewilligung der Rente bereits bei Antragstellung voraus. Dem Einwand der Klägerin, die Zuständigkeit der DRV hänge dann von der Dauer des Rentenverfahrens ab, folgte das BSG nicht. Die DRV müsse gerade existenzsichernde Leistungen wie Renten zügig gewähren (§ 17 Nr. 1 i.V.m. §§ 12 Satz 1, 23 SGB I). Ferner beruft sich das BSG v.a. auf die Systematik des § 11 SGB VI.

Denn würde nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI eine nachträgliche Rentenbewilligung genügen, mache dies § 11 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 2a Nr. 1 SGB VI weitestgehend entbehrlich. Die DRV war auch nicht nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI (Vermeidung einer EM-Rente durch die beantragte Leistung) zuständig. Dies setzt laut BSG voraus, dass die beantragten LTA eine EM-Rente (voraussichtlich) abwenden. Bei Leistungen in einer WfbM bedeute dies, dass das Leistungsvermögen durch die LTA prognostisch bis zum Erreichen einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gebessert werden könne. Eine solche positive Prognose bestand vorliegend aber nicht.

Die Entscheidung bestätigt hinsichtlich der Erforderlichkeit einer positiven Erwerbsprognose in Bezug auf den allgemeinen Arbeitsmarkt auch im Rahmen des § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI die bisherige einschlägige Rechtsprechung des BSG (BSG Urt. v. 16.06.2015 – B 13 R 12/14 R – und BSG Urt. v. 26.02.2020 – B 5 R 1/19 R, siehe hierzu Reha-Info 6/2020). Darüber hinaus schafft sie Klarheit bei der Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI.

* Leitsätze oder Entscheidungsgründe des Gerichts bzw. Orientierungssätze anhand Terminsbericht, redaktionell abgewandelt und gekürzt