Von der Statistik zur Praxis

Der Teilhabeverfahrensbericht als Evaluationsinstrumentt

Seit nunmehr sechs Jahren geben die Kennzahlen aus dem Teilhabeverfahrensbericht (THVB) Einblicke in die Verfahrensabläufe von Rehabilitation und Teilhabe und erlauben Rückschlüsse auf die Umsetzung gesetzlicher Vorgaben in der Praxis. Die Meldequote bleibt mit 91 Prozent stabil auf einem hohen Niveau. Für das Berichtsjahr 2023 haben 1.154 Rehabilitationsträger ihre Daten zu Antragszahlen, Verfahrensabläufen und zur trägerübergreifenden Zusammenarbeit für den THVB gemeldet.

Gestiegene Antragszahlen
Im Jahr 2023 wurden mit insgesamt 3,2 Mio. Anträgen in fast allen Trägerbereichen mehr Anträge auf Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe gestellt als im Vorjahr. Den größten Zuwachs verzeichnen die Krankenversicherung (GKV) und die Rentenversicherung (RV) mit jeweils zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Lediglich im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts (SER) ist eine rückläufige Entwicklung zu verzeichnen. Bei mehr als drei Viertel der SER-Träger sind in 2023 keine Neuanträge eingegangen bzw. bearbeitet worden. Mit 1,8 Mio. ging mehr als die Hälfte aller Anträge bei den Trägern der RV ein, gefolgt von der GKV mit einem Drittel, was rund 1 Mio. Anträgen entspricht. Bei den Trägern der Eingliederungshilfe (EGH) gingen mit knapp 248.429 insgesamt 7,7 Prozent der Anträge ein.

Unterschiede in der Bearbeitungsdauer

Eine Auswertung der Bearbeitungsdauern im THVB gibt Aufschluss darüber, wie viele Reha-Träger wie lange brauchten, um über einen Antrag zu entscheiden. Insgesamt wurden 84 Prozent der Anträge vollständig oder teilweise bewilligt. Die überwiegende Mehrheit der in Abbildung 1 dargestellten Träger der Sozialversicherung benötigte im Durschnitt weniger als einen Monat, um einen Antrag zu bewilligen. Bei einem Drittel aller Träger der EGH und bei fast der Hälfte aller Träger der Jugendhilfe (JH) vergingen dafür mindestens vier Monate

Regionale Auswertungen
Die für den THVB übermittelten Daten lassen in den steuerfinanzierten Trägerbereichen landesspezifische Auswertungen zu. Für EGH, JH und SER können die Kennzahlen aus dem THVB nicht nur auf Bundesebene, sondern auch für die Bundesländer bis hin zu den Landkreisen und kreisfreien Städten dargestellt werden. Letzteres wird in Abbildung 2 exemplarisch für ein Bundesland mit fiktiven Daten zur Bearbeitungsdauer gezeigt. So können beispielsweise Träger erkannt werden, bei denen die Bearbeitung der Anträge länger dauert als im Bundesdurchschnitt oder bei anderen Trägern. Die damit gewonnene Transparenz erlaubt es, gezielt nach Ursachen zu schauen und ggf. spezifische Maßnahmen zur Verbesserung abzuleiten. Solche landesspezifischen Auswertungen sind nicht Bestandteil des in 2024 veröffentlichen THVB, da die Daten hierfür bis auf die einzelnen Träger heruntergebrochen werden. Sie werden vermehrt von den Bundesländern angefragt. Landesspezifische Auswertungen können Optimierungspotenziale aufzeigen und ermöglichen den Bundesländern eine gezielte Steuerung.

Trägerübergreifende Zusammenarbeit
Eine trägerübergreifende Teilhabeplanung ist durchzuführen, wenn mehrere Reha-Träger an der Antragsbearbeitung beteiligt sind. Es ist möglich, dass ein Reha-Träger keine Teilhabeplanungen gemeldet hat und trotzdem an einer solchen beteiligt gewesen ist, da nur der leistende Träger die Daten für den THVB erfasst. Durch eine Teilhabeplanung sollen alle erforderlichen Leistungen und ihr Zusammenwirken koordiniert werden. In bestimmten Fällen kann mit Einwilligung der leistungsberechtigten Person eine Teilhabeplankonferenz durchgeführt werden („runder Tisch“). Wie sich auf dem Symposium zum THVB herausstellte, werden die Kennzahlen zu trägerübergreifenden Teilhabeplanungen als Indiz dafür gesehen, dass die Umsetzung des BTHG an einigen Stellen (noch) nicht erfolgt. Insgesamt wurden im Jahr 2023 in ganz Deutschland 11.818 trägerübergreifende Teilhabeplanungen durchgeführt. Ihr Anteil an allen entschiedenen Anträgen ist mit insgesamt 0,4 Prozent jedoch nach wie vor gering. Der Anteil der Teilhabeplankonferenzen ist mit insgesamt 0,05 Prozent noch geringer. Bei über 70 Prozent aller Träger wurde in 2023 keine trägerübergreifende Teilhabeplanung als leistender Träger durchgeführt. Dabei handelt es sich bei der trägerübergreifenden Zusammenarbeit um einen Kernaspekt im Reha-Prozess, dessen Bedeutung auch auf dem Symposium THVB mehrfach herausgestellt wurde.

Eine in diesem Sinne positive Entwicklung zeigt sich bei der Bundesagentur für Arbeit: Hier ist die Anzahl der trägerübergreifenden Teilhabeplanungen und die der Teilhabeplankonferenzen im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat die geringe Verbreitung trägerübergreifender Teilhabeplanungen aufgegriffen und Ende 2024 die Studie „Teilhabe gemeinsam planen“1 veröffentlicht. In dieser qualitativen Befragung soll aufgezeigt werden, weshalb die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Trägerbereichen ausbleibt.

Weiterentwicklung des Teilhabeverfahrensberichts

Seit dem 1. Januar 2024 erfassen die Rehabilitationsträger für den THVB erstmal die Weiterleitungen im Rahmen einer Turboklärung nach § 14 Abs. 3 SGB IX. Der zweitangegangene Rehabilitationsträger kann, sofern er für keine der beantragten Leistungen zuständig ist, einen bereits weitergeleiteten Antrag ausnahmsweise und einvernehmlich ein zweites Mal weiterleiten. Dies soll eine schnelle Klärung der Leistungsverantwortung innerhalb der bereits in Gang gesetzten Frist nach § 14 Abs. 2 SGB IX ermöglichen. Zusammen mit den seit Beginn des THVB erfassten Weiterleitungen bei vollständiger Unzuständigkeit nach §14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX wird im THVB 2025 ein differenzierteres Bild zur Bewegung der Anträge zwischen den Trägerbereichen gegeben werden können.
Der THVB ist nicht nur eine Statistik, sondern vielmehr gibt er Einblicke in die gelebte Praxis der Rehabilitation und Teilhabe, die zuvor nicht möglich waren. Somit bietet auch der THVB 2024 eine Grundlage für Austausch, Interpretation und die Entwicklung von Handlungsstrategien.

Dr. Stephanie Czedik und Dr. Nadine Liebing
 

1 Vgl. BMAS (2024). Forschungsbericht 645. Teilhabe gemeinsam planen. www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Forschungsberichte/fb-645-teilhabe-gemeinsam-planen.html

Der Teilhabeverfahrensbericht 2024 steht unter www.bar-frankfurt.de > Themen > Teilhabeverfahrensbericht zum Download zur Verfügung.
Die barrierefreie Fassung sowie eine gedruckte Broschüre kann ebenfalls über die Internetseite der BAR bezogen werden.

Symposium Teilhabeverfahrensbericht
Ende 2024 hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR) ein breites Fachpublikum eingeladen, um gemeinsam zu erörtern, welches Licht der THVB auf die Umsetzung des Bundesteilhabegesetztes (BTHG) wirft und welche Erkenntnisse sich aus den Ergebnissen im THVB gewinnen lassen. 

Ein weiterer Aspekt des gemeinsamen Austauschs auf dem ersten Symposium Teilhabeverfahrensbericht war, wie mit den veröffentlichten Kennzahlen weitergearbeitet werden kann und welche praktischen Ansätze sich ableiten lassen. Hier finden Sie eine ausführliche Dokumentation zu Inhalten und Ergebnissen der Veranstaltung.