Reha-Info 02/2012 - Editorial
Zum Schluss taucht immer Minerva mit ihrer Eule auf. Die Göttin der Weisheit und der Vogel der Klugheit, ein Gespann, das durch Hegel zur Redewendung geworden ist. Und ihn selbst zu grundlegender Einsicht führte, indem er die Eule mit der Philosophie verglich.
"Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau lässt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug," schreibt er in der Vorrede zu seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts.
Will heißen, Philosophen können immer nur Vergangenes deuten. Kurz: Man weiß erst später, was ist. Hegel war realistisch genug zu erkennen, dass man keinen vollständigen Überblick über die Lage haben kann, in der man steckt. Tun wir das Richtige und haben wir so die Zukunft im Griff? Die Antwort muss lauten: nein. Dinge, die niemand ahnen konnte, verändern die Lage. Wir können abschätzen, aber niemals wissen. Das spricht uns nicht von der Verpflichtung frei, die Zukunft zu gestalten. Es darf uns auch nicht davon abhalten, strategische Überlegungen anzustellen. Wir müssen uns nur darüber im Klaren sein, dass alle sozialen Zusammenhänge, die wir glauben erkannt zu haben, im Nu Makulatur sein können. Die Erkenntnis gesellschaftlicher Verhältnisse hinkt den Ereignissen eben oft hinterher. Der Philosoph löst nicht die Probleme, er erkennt sie, er interpretiert. Aber: Gilt es die Welt nur zu interpretieren, kommt es nicht vielmehr darauf an, sie zu verändern?
Am Ende meiner BAR-Zeit schaue ich zurück und erkenne. Mit der einbrechenden Dämmerung, um im Bild zu bleiben, kann ich ihre Substanz erfassen. In beinahe 6 Jahren BAR hat sich viel getan. Ungeachtet unterschiedlicher Interessengruppen, Machtverhältnisse und Diskursprozesse sozialstaatlicher Provenienz, hat sich die BAR zu einem strategischen Player gemausert, dessen Gestaltungswille untrennbar mit dem System von Reha und Teilhabe verwoben ist. UN-BRK, Inklusion, Teilhabe, die BAR beobachtet die Reha-Welt und sucht danach, wo die wirklichen Probleme liegen. Das ist ihre Aufgabe. Hier ist sie nicht wegzudenken, als Garant einer gedeihlichen Identitätspolitik aller ihrer Mitglieder und Partner.
Neue Aufgaben liegen vor mir. Ungeachtet aller Unwägbarkeiten möchte ich weiterhin gestalten und planen, dem Zufall vielleicht das eine oder andere Schnippchen schlagen. Glauben wir an die Eule der Minerva? Die Zukunft kennen wir nicht. Können wir bis zur Dämmerung warten? Durchaus. Manch einer sieht in unserer komplexen Welt Absurdität und Sinnlosigkeit am Werk. In der Revolte gegen das Absurde, wie es Albert Camus sieht, kann der Mensch sich verwirklichen und zur Freiheit finden. Der „ewige Rebell“ Sisyphos feiert die schöpferische Gestaltung des Absurden. Das Spannungsverhältnis zwischen der Sinnwidrigkeit der Welt einerseits und der Sehnsucht des Menschen nach sinnvollem Handeln andererseits, löst er mit dem Annehmen des Absurden. „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“
Bernd Petri
Geschäftsführer der BAR