Kommunikation und Leichte Sprache

Alle kennen das: Täglich erhalten wir eine Fülle von Informationen aus verschiedenen
Bereichen: Beruf, Politik, Technik, Recht, in Print- und Onlinemedien, Protokollen oder
Broschüren. Jeden Tag sind wir gefordert, uns mit Texten, Reden und Informationen
auseinanderzusetzen. Allerdings wird beim Verfassen von Texten selten auf Verständlichkeit geachtet und das erschwert es, komplizierte Sachverhalte auf diesen Gebieten zu verstehen.
Sprache ist ein Code für unsere Mitteilungen, Wünsche, Gefühle und vieles mehr.
Wir wollen verstanden werden, wenn wir sprachlich kommunizieren. Und unser Kommunikationspartner will verstehen, was wir ihm mitzuteilen versuchen. Er benutzt unseren Text aktiv und sinnorientiert nach seinen eigenen Bedürfnissen: zur Meinungsbildung, zur Informationsbeschaff ung oder einfach zur Unterhaltung. Das gelingt bisweilen, häufig aber auch nicht. Dann wird die „Sprachlosigkeit“ vieler Schreiber zu einem Ärgernis, einer Barriere.

Verstehen Sie Deutsch?
Nicht jeder Text im eigentlichen Sinn des Begriff s „Kommunikation“ teilt also seine
Information mit uns. Das ist aber wichtig und notwendig, nicht nur im Sinn von gelingender Kommunikation, sondern auch im Hinblick auf umfassende Partizipation an der Gesellschaft. Man versteht heute unter demokratischer Reife die Partizipation kompetenter und selbstbewusster Bürgerinnen und Bürger in möglichst vielen Lebensbereichen. Die Teilhabe an den gesellschaftlichen Systemen ist also eine wesentliche demokratische Funktion, die durch Verstehen und Verständigung erst möglich wird. Der Zugang zu Informationen ist eine Voraussetzung für Lebensqualität und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sprache kann dabei eine Barriere sein. Demnach ist Sprach- und Leseerwerb von Fähigkeiten der Nutzer- und Nutzerinnengruppe abhängig.
Viele Menschen haben ihre liebe Mühe mit den Informationen aus Zeitungen, Büchern,
Broschüren oder Formularen – wohlgemerkt, wir sprechen hier von Menschen
ohne kognitive Einschränkungen. Dazu kommen die Menschen, die beispielsweise
unter einer Lese- und Rechtschreibschwäche leiden, Lernschwierigkeiten oder eine
geistige Behinderung haben. Aber auch Menschen mit Migrationshintergrund oder
ältere, demente Mitbürger. Laut der „Level-One-Studie“ der Universität Hamburg von
2011 können rund 5,2 Millionen Menschen der deutsch sprechenden Bevölkerung zwar einzelne Sätze lesen, aber keine komplexen Texte verstehen. Und mehr als 2,3 Millionen Menschen können nur einzelne Wörter lesen oder schreiben.
Lesen und Schreiben sind Kulturwerkzeuge, die im Sinne einer Handlungsfähigkeit
maßgeblich für die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sind. Für viele Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung ist der Zugang zu unserer sprachlichen Informationskultur erschwert oder gar unmöglich. Wenn aber Teilhabe alle Menschen mit Behinderung umfassen soll und muss, dann ist die Zugänglichkeit
von sprachlichen Informationen zielgruppenorientiert (Anpassung an die Kompetenz des Lesers) zu gestalten.
Lesekompetenz wird beispielsweise bei PISA so beschrieben: „Geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu refl ektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potenzial weiter zu entwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“ (PISA-Konsortium, 2001). Lesekompetenz ist also kein Selbstzweck, sie ist ein Werkzeug zur Aufnahme und Verarbeitung von Informationen als  Grundlage von Entscheidung und Aktion. Sie ist damit ein Mittel der Freiheit und Demokratie.

Dabei sein ist nicht alles

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) kann Teilhabe in den Lebensbereichen „Lernen und Wissensanwendung“, „allgemeine Aufgaben und Anforderungen“, „Kommunikation“, „Mobilität“, „Selbstversorgung“, „häusliches Leben“,  „interpersonelle Interaktionen und Beziehungen“, „bedeutende Lebensbereiche“ sowie „gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben“ stattfinden. Teilhabe wird damit als ein freiwilliges und aktives Involviertsein in diese Lebensbereiche verstanden.
Zur Überwindung oder Beseitigung von Barrieren in Bezug auf die schriftsprachliche
Kommunikation stellt das Konzept der Leichten Sprache ein geeignetes Mittel dar.
Ein Text ist dann leicht lesbar, wenn der Leser den Sinn ohne Schwierigkeiten verstehen kann. Hierfür muss es dem Autor gelingen, die Texte so gut wie möglich an die jeweilige Kompetenz des Lesers anzupassen. Für diese zielgruppenbezogene Textgestaltung wurden von verschiedenen Organisationen, die sich im   deutschsprachigen Netzwerk Leichte Sprache zusammengefunden haben (siehe Artikel S. III), alltagspraktische Richtlinien und Orientierungen zur Textoptimierung
entwickelt (z. B. die Verwendung bekannter Wörter, kurzer Sätze, einfacher
Grammatik, klarer Aussagen und eindeutiger Zusammenhänge) und die  gestalterische Klarheit (z. B. der Einsatz von großer Schrift und erläuternder Abbildungen).
Die Leichte Sprache fungiert auch als integrierendes Instrument zwischen Menschen
mit und ohne Behinderung. Barrierefrei zu informieren bedeutet viele Ebenen zu
beachten - die Zielgruppe, das passende Medium, die passende Sprache, die passende Gestaltung, eventuell notwendige (technische) Hilfsmittel. Das Angebot einer leicht verständlichen Sprache war lange ausschließlich als Hilfe für Menschen mit
Lernschwierigkeiten gedacht. Das ist nach wie vor wichtig und wird im Sinne von Empowerment und Inklusion weiter intensiv verfolgt. Inzwischen kommt das Konzept auch dann zum Einsatz, wenn Behörden und Firmen sichergehen möchten, dass alle angesprochenen Zielgruppen die Information wirklich lesen und verstehen können.


Wegweiser in Leichter Sprache
Der BAR als Herausgeberin von zahlreichen Empfehlungen, Arbeitshilfen und Wegweisern geht es um verständliche Sprache. Dem Konzept der  Zielgruppenorientierung folgend, sollen künftig ausgewählte Publikationen
in Leichte Sprache übertragen werden. Bereits überarbeitet liegen die „10 Gebote
der Barrierefreiheit“ in leichter Sprache vor. Zurzeit widmet sich die BAR einem richtungsgebenden Projekt. Der „Wegweiser Rehabilitation und Teilhabe für Menschen
mit Behinderung“ ist das „Broschüren-Flaggschiff “ der BAR. Mit einer Aufl age von
mittlerweile ca. 500 000 Exemplaren ist er die am meisten genutzte Broschüre der BAR und bietet einen Überblick über das System Rehabilitation und Teilhabe. Ziel ist die Entwicklung und Herausgabe eines Wegweisers in Leichter Sprache ( siehe Artikel
S. III), mit der der Zielgruppe der Zugang zu den Informationen ermöglicht werden
soll. Das Gebot der Barrierefreiheit und die Forderungen der UN-BRK sollen mit dieser
Konzipierung verwirklicht werden und der Auftakt zu weiteren Aktivitäten sein.
Sicher hat die Leichte Sprache auch ihre Grenzen. Nicht jeder Text ist „übersetzbar“,
man denke etwa an Gesetzestexte und Verträge. Auch könnte schnell der Gedanke an eine Zweiteilung der Gesellschaft kommen, hier die vermeintlichen Eliten, die „schwere“ Sprache verstehen und dort jene, die auf Leichte Sprache angewiesen sind. Das wäre sicher eine Form der Exklusion. Aber so wird es nicht kommen, wenn der Gedanke der Zielgruppenorientierung konsequent verfolgt wird. Grundsätzlich sollten aber Autorinnen und Autoren eines nie aus den Augen verlieren: Beim Schreiben an den Leser zu denken.