Bildung - Ein Schlüssel zur Teilhabe
Bildung kann über Lebenschancen entscheiden und damit Menschen in die Lage versetzen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Bildung ist ein Schlüssel zu einem erfolgreichen Einstieg in die Berufswelt und bestimmt damit unter anderem auch den sozialen Status. Das gilt auch und sogar besonders für behinderte Menschen. Sie haben Anspruch auf Bildung, die ihren Fähigkeiten und Neigungen entspricht.
Die Lebenslage Bildung nimmt die gesamte Bildungskette in den Blick: Vorschule, Schule, Hochschule, Berufsbildung und die unter dem Stichwort „lebenslanges Lernen“ gefassten Fort- und Weiterbildungsangebote, die im gesamten Lebensverlauf Wissen und Fähigkeiten fördern sollen. Bedeutet Teilhabe an Bildung, gleichberechtigt Bildung wahrnehmen zu können, dann muss in erster Linie der Zugang zu Bildungsorten gewährleistet sein. Ist der Zugang erschwert, hat das Auswirkungen auf andere Lebenslagen: Beschäftigung, Wohnen, soziales und kulturelles Leben. Es bestehen also Wechselwirkungen zwischen den Lebenslagen – und den Lernwelten. Denn neben den formalen Bildungsorten wie Schule, Hochschule und Ausbildungsbetrieb mit anerkannten Abschlüssen, gibt es sogenannte „non-formale Bildungsorte“ wie Kindertageseinrichtungen, Frühförderzentren, Kunst-, Musik- oder Volkshochschulen mit unterschiedlichen Bildungsangeboten. Nicht zu vergessen und nicht zu unterschätzen sind die informellen Lernwelten: In Familien und Jugendgruppen, in offener Kinder und Jugendarbeit oder in Vereinen, werden Wissen und Kompetenz in alltäglichen Lebenszusammenhängen selbständig angeeignet. Um die Teilhabe an diesen Erziehungs-, Sozialisations- und Lernerfahrungen zu fördern, werden gerade bei Menschen mit Beeinträchtigungen zusätzliche Unterstützungsangebote notwendig. Denn der Zugang (Schulbeginn) und die Übergänge (Primär-, Sekundär- und Tertiärbereich) sind entscheidend für die Teilhabe, den späteren Beruf und das damit verbundene Einkommen. Erfolg hängt hier maßgeblich vom frühzeitigen Erkennen des Förderbedarfs ab, um therapeutische und pädagogische Maßnahmen passgenau in die Wege leiten zu können.
Bildung und Inklusion
Bildung als Schlüssel zur Teilhabe ist eng verbunden mit Inklusion. Zwar zeigen die Vorgaben der UN-Konvention mittlerweile schon Wirkung und der Inklusionsanteil in deutschen Klassenzimmern steigt, aber nach der Grundschule ist Inklusion oft noch ein Fremdwort. So zeigt eine Studie der Bertelsmann Stiftung (2015), dass der Inklusionsanteil in den Kitas bei 67% und in Grundschulen bei 46,9% liegt. In der Sekundarstufe fällt diese Quote bereits auf 29,9%. Dieser Trend gilt auch im Bereich der Berufsausbildung. 24,1% von gut 1000 befragten ausbildungsberechtigten Betrieben bilden Jugendliche mit Behinderungen aus. Soweit die Zahlen. Aber wie funktioniert die Umsetzung der Konventions-Vorgaben? Ist ein gleichberechtigter Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht für Menschen mit Behinderungen, wie Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention fordert, überhaupt realistisch?
Ernst gemeinte Inklusion ist teuer. Laut einem Gutachten des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie kostet Inklusion, wenn sie seriös betrieben wird, jährlich zwischen 1,8 und 4,3 Milliarden Euro (Quelle: Spiegel 19/2017). Zusätzliche Lehrerstellen mit sonderpädagogischen Kenntnissen, Räume, Lehrbücher und Konzepte sind notwendig, um Schulbildung und Berufsausbildung erfolgreich inklusiv zu betreiben. Oft fehlt es noch an dieser Basis, an einer soliden „Grundausstattung“, um das Recht auch in die Praxis zu überführen.
Gesicherte Erkenntnisse darüber, ob inklusive Bildung Kindern mit Beeinträchtigungen tatsächlich hilft, gibt es bisher nicht. Inklusion, gerade an Schulen, wird mittlerweile kontrovers diskutiert.
Dabei geht es nicht um die Frage des „ob“, sondern des „wie“. Denn in Artikel 24 der UN-Konvention ist auch die Rede von einem „Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet“. Das kann auch die Förderschule sein. Die Mittel können unterschiedlich sein, das Ziel ist es nicht: Die Inklusion in die Gesellschaft. Beispiel: Die Anna-Freud-Schule in Köln (s. Artikel Seite IV). Ihr Leiter, Ludwig Gehlen, ist kein Inklusionsgegner, aber er ist davon überzeugt, dass Schüler mit Behinderungen nicht auf ihre Grundbedürfnisse – wenn nötig - verzichten sollten: gute Pfl ege, Therapieangebote und kleine Klassen mit einer hohen Anzahl von behinderten Mitschülern (Quelle Spiegel 19/2017). Was in der Regelschule – noch nicht – zufriedenstellend funktioniert oder funktionieren kann, wird an der Anna-Freud-Schule täglich praktiziert. Nicht die Behinderten müssen sich anpassen, sondern die Nichtbehinderten. Und die Schule wagt den „Inklusions-Twist“. Die Förderschule öff net sich mit Erfolg für nichtbehinderte Schülerinnen und Schüler. Und die müssen sich dann anpassen, beispielsweise Einsatz beim Rollstuhl-Basketball zeigen.
Letztendlich geht es nicht um die Wahl zwischen Förderschule und Regelschule. Es kommt darauf an, Lernangebote und Lernorte den Besonderheiten der Lernenden anzupassen. Sie müssen den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen Rechnung tragen. Die Ausgestaltung der Lebenslage Bildung und Ausbildung ist die Voraussetzung für erfolgreiches Lernen und die Voraussetzung für die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft. Der Schulabschluss ist ein entscheidender Faktor dafür. Das bestätigt auch der Teilhabebericht der Bundesregierung. Je geringer der Schulabschluss und je schwerer die Beeinträchtigung, desto geringer ist die Chance auf berufl iche und gesellschaftliche Teilhabe. Früh erkannt, können Beeinträchtigungen durch therapeutische und sozialpädagogische Maßnahmen abgemildert werden. Mit Teilhabeleistungen in Frühförderstellen und Sozialpädiatrischen Zentren, ambulanter beruflicher Rehabilitation (Siehe Beitrag, Seite V), mit begleitenden betrieblichen Ausbildungen oder über die Förderung innerbetrieblicher Umsetzung bis zu betrieblicher Weiterbildung und Umschulung. Die Lebenslage Bildung und Ausbildung ist ein weites Feld, auf dem nicht nur die vorschulische, schulische und berufliche Bildung eine Rolle spielen, sondern auch das lebenslange Lernen in all seinen Facetten.