Anträge auf Leistungen zur Teilhabe beim Jobcenter im Kontext des § 14 SGB IX a.F.
Orientierungssätze*
- Nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz kann unter Umständen ein Antrag auf Wohngeld nach dem SGB II auch als Antrag auf Leistungen zur Teilhabe zu werten sein.
- Bei Anträgen auf Leistungen zur Teilhabe besteht zwischen Jobcenter, das „formal“ kein Reha-Träger ist, und Bundesagentur für Arbeit (BA) ein funktionaler Zusammenhang, infolgedessen ein Antragseingang beim Jobcenter als Eingang bei der BA im Sinne des § 4 SGB IX a.F. gewertet wird.
BSG, Urteil v. 4.4.2019, Az.: B 8 SO 12/17 R
* Leitsätze oder Entscheidungsgründe des Gerichts bzw. Orientierungssätze nach JURIS, redaktionell abgewandelt und gekürzt
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Die im Studium befindliche Klägerin (GdB 100; Merkzeichen „G“, „aG“, „B“ und „H“) stellte bei einem Jobcenter einen Antrag auf (ergänzendes) „Wohngeld nach dem SGB II“ für ihre behinderungsgerecht ausgestattete Wohnung. Der zwischenzeitlich an einen Eingliederungshilfeträger weitergeleitete Antrag wurde von diesem abgelehnt. Die dagegen gerichtete Klage war vor SG und LSG erfolglos. Dem LSG zufolge war die Klägerin u.a. von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Insbesondere kam laut LSG im Ergebnis eine Berücksichtigung der erhöhten Mietaufwendungen als behinderungsbedingter Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II oder in analoger Anwendung des § 24 SGB II ebenso wenig in Betracht wie eine zuschussweise Gewährung nach § 27 Abs. 3 SGB II. Eine ggf. in Betracht kommende darlehensweise Leistungsgewährung nach § 27 Abs. 3 S. 4 iVm § 24 Abs. 4
SGB II begehrte die Klägerin ausdrücklich nicht. Auf die Revision der Klägerin hat das BSG den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, weil dieses verfahrensfehlerhaft von der hier notwendigen Beiladung der BA (§ 75 Abs. 2 1. Alt SGG) abgesehen hatte. Dritte sind notwendig beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, wofür die Möglichkeit der Leistungsverpflichtung genügt. Die Notwendigkeit der Beiladung begründet das BSG damit, dass die BA im Ergebnis nach § 14 SGB IX a.F. zuständig geworden sei. Der Antrag auf Kosten der Unterkunft wird dabei nach dem Meistbegünstigungsprinzip (auch) als Antrag auf Rehabilitationsleistungen (Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben/Leistung zur sozialen Teilhabe) eingestuft, weil die Klägerin ihren Antrag mit entsprechendem Bedarf wegen ihrer Behinderung begründet hatte. Bei Leistungen zur Teilhabe besteht – so das BSG – mit Blick auf § 6a SGB IX a.F. ein „funktionaler Zusammenhang“ zwischen Jobcenter und BA, dem auch bei der Anwendung des § 14 SGB IX a.F. Rechnung zu tragen ist. Unter Verweis auf Sinn und Zweck des § 14 SGB IX a.F. wird dabei im Ergebnis der Beginn der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX a.F. auf den Zeitpunkt des Antragseingangs beim Jobcenter gelegt. Unterbleibt die Weiterleitung binnen dieser Frist, wird dem BSG zufolge die BA nach § 14 SGB IX a.F. „zuständig“ und muss den geltend gemachten Anspruch im Hinblick auf alle Rechtsgrundlagen prüfen, die in der konkreten Bedarfssituation überhaupt für Rehabilitationsträger vorgesehen sind.
Die auf Sinn und Zweck des § 14 SGB IX a.F. gestützte Entscheidung ist nicht zuletzt im Hinblick auf den Wortlaut („Rehabilitationsträger“) bemerkenswert. Es bleibt abzuwarten, ob die entsprechenden Erwägungen auch auf die seit 2018 geltende, teils weiterentwickelte Rechtslage (§ 14 und § 6 Abs. 3 SGB IX) Anwendung finden.