Nähe schaffen in der Distanz
Digitale Umsetzung der Teilhabe in der ambulanten beruflichen Rehabilitation während der Corona-Pandemie am Beispiel der Fortbildungsakademie der Wirtschaft
Die Corona Pandemie hat auch viele Akteure der beruflichen Rehabilitation im Frühjahr 2020 fast unvorbereitet getroffen. Dieses „fast“ ist bewusst eingefügt, denn natürlich gab es bereits Ansätze, digitale Formate in Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zielführend einzusetzen. Dass sich Praxisfragen der digitalen Umsetzung so dynamisch und kurzfristig stellen, hat alle Beteiligten vor große Herausforderungen gestellt. Dieser Beitrag soll einen Einblick geben, welche Fragen sich in der ambulanten beruflichen Rehabilitation gestellt haben – und noch stellen. Und er soll beispielhaft für die Fortbildungsakademie der Wirtschaft darstellen, welche Lösungsansätze sich in der Praxis bewährt haben.
Leistungserbringung unter sogenannten Lockdown-Bedingungen bedeutet zunächst einmal vereinfacht: die Teilnehmerinnen und Teilnehmern sind nicht da. Dass heißt, sie müssen aus der Distanz in ihrer Qualifizierung und mit ihrer rehapädagogischen Unterstützung begleitet werden. Für die ambulante berufliche Rehabilitation zudem wichtig: sie können gegebenenfalls auch nicht in ihrem Praktikums- oder Umschulungsbetrieb vor Ort sein. Entscheidend ist, dass die individuellen Inklusionsprozesse weitergeführt werden können.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stehen je nach Phase der jeweiligen Leistung vor unterschiedlichen Situationen. Muss ein Assessment oder eine Kompetenzfeststellung gemacht werden? Steht zurzeit die Qualifizierung im Vordergrund? Muss ein Jobcoaching sichergestellt werden? Für alle diese Prozessschritte gilt es, Lösungen zu finden. Diese müssen für die Zielgruppe auch passend sein. Die Leitfrage lautet daher: „Das Erreichen welcher individuellen Zielsetzungen im Reha-Prozess muss sichergestellt werden?“ Und darauffolgend die Frage: „Welches (digitale/technische) Instrument kann dies am besten gewährleisten?“
Der Werkzeugkoffer dafür enthält Lösungen wie Blended Learning, virtueller Klassenraum, Videokonferenzsysteme, CBTs, Messengerdienste, Online Austauschplattformen über Cloud-Lösungen, Lern Apps u.s.w. Ein Teil dieser Lösungen war bei den Leistungserbringern schon etabliert, ein Teil musste unter hohem Zeitdruck erst implementiert werden. Die EDV-Abteilungen der Leistungserbringer haben hier Schwerstarbeit geleistet. Aber es hat sich gelohnt. Es ist ein gefestigtes Instrumentarium entstanden.
Beispiel Autismus
Ein Projekt der Fortbildungsakademie unterstützt junge Menschen mit Autismus auf ihrem Weg in die Arbeitswelt. Zum Thema „Situationsanalyse über adäquates Verhalten am Arbeitsplatz“ bietet die Akademie über die Plattform Web Ex Training ein Meeting- und Schulungstool an. Zum Einsatz kommen u.a.:
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Für die Kolleginnen und Kollegen in der Praxis war eine Matrix hilfreich: Welches Instrument bietet sich für welche Zielsetzung bei welcher Zielgruppe an. So konnten sie sich schnell einen Überblick verschaffen, wenn klar wurde, dass die Internet-Anbindung beim Teilnehmer zuhause nicht für ein Online-Lernen ausreicht. Oder wenn die Teilnehmerin mit einer Lernstörung mit der Installation einer App überfordert war.
Auch der Datenschutz war wichtig: Wo stehen eigentlich die Server für den Messenger-Dienst? Sind die Daten sicher? - Diese Kriterien waren für die Auswahl der Instrumente ebenso relevant.
Leistungen zur Teilhabe umfassen zum Beispiel auch persönliche Beratung, psychologische Begleitung, Krisenintervention. Wie kann aus der Distanz die nötige Nähe aufrechterhalten werden?
Die Kolleginnen und Kollegen arbeiteten viel mit Telefonberatung. Es wurden Termine abgestimmt, an denen man sich verlässlich erreichen konnte; bei Krisensituationen wurde schnell telefonisch interveniert. Für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – aber auch für unsere Teilnehmenden – wurde mit der Zeit aber auch klar: den persönlichen Kontakt ersetzt das nicht. Gerade wenn die Maßnahme erst begonnen hatte und die persönliche Beziehung noch gar nicht entstehen konnte, war das notwendige Vertrauen schwerer herzustellen. Auch Trainings oder Reflexionen in der Teilnehmergruppe sind ohne eine persönliche Gesprächssituation deutlich schwerer umsetzbar. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fragten sich auch immer häufiger: wie geht es meinen Teilnehmerinnen und Teilnehmern wirklich?
Das Bild vom Gegenüber in einer Videokonferenz-Lösung hilft dabei, eine Gesprächssituation authentischer zu gestalten. Wichtig ist dabei eine datenschutzsichere Lösung, die persönliche Daten und sensible Gesprächsinhalte nicht über Server außerhalb der EU „verschickt“, sondern auf eigenen Servern installiert werden kann.
Die von der EDV-Abteilung hausintern erstellte Plattform ist jetzt an dieser Stelle sicher, sie läuft im eigenen Rechenzentrum. Für alle Beteiligten ist die Umsetzung denkbar einfach: ein Link wird übersendet, die Teilnehmerin klickt drauf, gibt kurz das Passwort ein und ist drin. Die einfache Bedienung ist für viele Zielgruppen geeignet. Kann man zu dieser Zeit bereits ein Fazit ziehen? Sicher noch nicht, dazu ist die aktuelle Situation noch zu dynamisch. Eine Erkenntnis kann man jedoch teilen: Menschen erreicht man mit (neuen) digitalen Medien, wenn diese ein spannendes Miteinander ermöglichen. Es wird darauf ankommen, digitale Formate mit eigenen positiven Aspekten zu erleben, nicht nur als notwendigen Ersatz für etwas, das eigentlich anders funktionieren sollte.
Stimmen der Akteure:
Teilnehmer: Es ist gut, dass wir uns sehen. Und wir können miteinander reden. Ich sehe, wie es den anderen geht. Eltern: Unser Sohn hat trotz der ungünstigen Situation eine Tagesstruktur. Er steht morgens auf, frühstückt und setzt sich um 8:30 Uhr an den Rechner, trifft sich virtuell, arbeitet an Aufgaben und nach der Abschlussrunde kommt er zum Mittagessen. Mitarbeiter: Es ist ein großer Aufwand, digital und passgenau zu arbeiten. Wir waren darauf nicht in der Tiefe vorbereitet. Wir haben mit den Teilnehmenden geübt, so dass sie von zu Hause aus virtuell arbeiten konnten. Es war gut mit Kameras zu arbeiten, so konnten wir nicht nur an den Stimmen erkennen, wie es ihnen geht, sondern konnten in ihren Gesichtern lesen, ob sie müde, erschöpft, genervt, traurig oder froh waren, uns zu sehen. |