Entwicklungspfade des Gesundheits- und Sozialsystems in gesellschaftstheoretischer Perspektive
Behrens J., Weber A., Schubert M. (Hrsg.): Von der Fürsorglichen Bevormundung über die organisierte Unverantwortlichkeit zur professionsgestützten selbstbestimmten Teilhabe? Beiträge zur Transformation des Gesundheits- und Sozialsystems nach 1989. Barbara Budrich: Opladen u.a., 2012.
Sozialstaatliche Leistungen, zu denen für Menschen mit Behinderung insbesondere Leistungen zur Teilhabe zu zählen sind, müssen Schritt halten mit normativen und faktischen gesellschaftlichen Veränderungen. Mit Blick auf die letzten Jahrzehnte wird deutlich, dass Ansätze fürsorglich-paternalistischer Prägung zwischenzeitlich durch den Anspruch der selbstbestimmten, gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung abgelöst worden sind. Damit haben sich die Leitgedanken der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) und des SGB IX durchgesetzt.
Aber auch die Herausforderungen im Kontext der zunehmenden finanziellen Überforderung des Sozialstaats, inklusive dessen maßgeblicher Einflussfaktoren wie des demographischen Wandels, bedingen neue Antworten auf aktuelle Probleme.
Den Entwicklungspfaden des Gesundheit- und Sozialsystems nach 1989 geht mit Fokussierung auf die Bereiche Rehabilitation und Pflege das Buch „Von der Fürsorglichen Bevormundung über die organisierte Unverantwortlichkeit zur professionsgestützten selbstbestimmten Teilhabe?“ von Johann Behrens, Andreas Weber und Michael Schubert nach. Hierbei werden nicht nur die historisch einzigartigen Transformationsprozesse im Spannungsfeld des gesellschaftlichen Umbruchs aufgezeigt, sondern auch der Versuch unternommen, diese in gesellschaftlich-sozialwissenschaftlichen Kontexten zu verorten.
Teil I widmet sich der Entwicklungsline der „Transformation von der fürsorglichen Bevormundung zur organisierten Unverantwortlichkeit“. Ausgehend von einer gesundheitssoziologischen Betrachtung von Rehabilitation und Pflege nach 1989 und von Rehabilitationsmechanismen in der DDR, werden Inklusionschancen und Exklusionsrisiken des Rehabilitationsprozesses am Beispiel des Schlaganfalls sowie Rationalisierungsprozesse exemplarisch für den Bereich stationärer Langzeitpflege untersucht. Der Teil schließt ab mit einer institutionsbezogenen Betrachtung von Zugangsprozessen zu rehabilitativen Leistungen im Kontext der Grundsicherungsträger.
Teil II befasst sich mit dem Weg der Transformation „zur professionsgestützten, selbstbestimmten Teilhabe“. Wird der Blick auf die Ausgestaltung rehabilitativer Leistungen gerichtet, fällt ein Beitrag zur Orientierung an individuellen Bedürfnissen und Ressourcen in der medizinischen Rehabilitation ins Auge, weil dieses Thema auch für diejenigen, die für die Praxis der Rehabilitation Verantwortung tragen von Interesse ist. Dabei werden Therapieinhalte und deren Individualisierungsgrad analysiert. Neben einer international vergleichenden Analyse von Rehabilitationsleitlinien nach Schlaganfall schließt eine gleichfalls international ausgerichtete Analyse von Wegen zur selbstbestimmten Teilhabe trotz Pflegebedürftigkeit das Buch ab.
Der Band stellt einen theoriegeleiteten interdisziplinären Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion von Entwicklungen im Gesundheits- und Sozialsystem dar, in dem deutlich wird, dass der Weg zur professionsgestützten selbstbestimmten Teilhabe, trotz Umwegen und Barrieren, historisch gesehen unumkehrbar scheint.