Reha-Info 05/2012 - Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser, die Rehabilitation der Zukunft erfordert „Wissen – Können – Wollen“
Bedarfsfeststellung, Teilhabeplanung, Personenzentrierung, Partizipation sind Bezugspunkte für die Rehabilitation, wie sie in der UN-Behindertenrechtskonvention formuliert sind. Sie bilden den philosophischen Überbau sowohl für die Entwicklung in der Rehabilitation wie auch insgesamt für die Unterstützung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung. In den Mittelpunkt rückt damit der Mensch mit Behinderung mit all seinen Belangen.
Für die Sozialleistungsträger sind damit enorme Herausforderungen formuliert – weg vom Erlassen von Verwaltungsakten in Form von Bewilligung oder Ablehnung der beantragten Leistung, hin zu einer Leistungserbringung, die vom Menschen mit Behinderung ausgeht. Diesen Anspruch einzulösen heißt, die Rehabilitation individueller machen, das Leistungsspektrum flexibel einsetzen und stärker abstimmen auf das, was Menschen wirklich brauchen. Abstimmung bekommt hier zwei Bedeutungen. Einmal geht es um eine ganzheitliche Ausrichtung und Abstimmung der Hilfen auf das, was für behinderte Menschen erforderlich ist, um im Sinne von Inklusion teilzuhaben; zum zweiten ist damit die erforderliche Abstimmung der Leistungserbringung angesprochen. Im Ergebnis geht es Kommunikation, Koordination und Vernetzung, die Grundvoraussetzungen darstellen für die Umsetzung der Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention, für die Erfüllung der Erwartungen von Menschen mit Behinderung und letzten Endes für die Einhaltung der von den Trägern an sich selbst gesetzten Ansprüche.
Rehabilitation ist nicht statisch, sondern erhält ihre Lebendigkeit durch die sich verändernden Rahmenbedingungen, die von den Rehabilitationsträgern und auch den Leistungserbringern immer wieder Wandel, Neuausrichtung, Veränderung im Denken und Handeln erfordern. Genau darin liegt die spannende Herausforderung am Prozess der Rehabilitation. Hier setzen die zentralen Handlungsfelder der BAR an: für ihre Mitglieder schafft sie im weitesten Sinne Grundlagen für die Umsetzung von trägerübergreifender Kooperation, Kommunikation und Vernetzung. Denn längst geht es trotz Zuständigkeitsregelungen nicht mehr um die ausschließliche Konzentration auf die eigenen Zuständigkeiten. Und viele aktuelle Entwicklungen im Sozialleistungssystem haben trägerübergreifende Auswirkungen.
Zum Beispiel: Demografischer Wandel, Erhöhung des Renteneintrittsalters, Entwicklungen wie die im Bereich psychischer Erkrankungen geben ausreichend Anlass, in die Gesundheit, insbesondere auch älterer Arbeitnehmer zu investieren. Prävention und Rehabilitation hängen ganz dicht beieinander – frühzeitiges Anpacken erzeugt positive Effekte in unterschiedliche Richtungen: Beschäftigungsfähigkeit bleibt erhalten, Unternehmen sichern ihre Wettbewerbsfähigkeit und Kostenträger sparen langfristig Kosten. Die BAR greift aktuelle Entwicklungen auf und bereitet ein Forum für die Diskussion und Erarbeitung von Lösungsansätzen mit ihren Mitgliedern.
Die Entwicklung geht hin zu einer personenzentrierten Teilhabeleistung, die individuelle Bedarfe stärker berücksichtigt und das Selbstbestimmungsrecht der Menschen mit Behinderung achtet. Was aber bedeuten Bedarfsfeststellung, Teilhabeplanung, Personenzentrierung ? Sich Einlassen auf die Belange des Menschen mit Behinderung - darauf kommt es an. Weder dürfen trägerspezifische Interessen noch vorhandene Strukturen die Teilhabeplanung bestimmen. Genauso wenig aber geht es darum - und letzten Endes ist das Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen so auch nicht zu sehen -, dass alle Wünsche von Leistungsberechtigten zu erfüllen sind. Den Menschen mit Behinderung zu beteiligen, heißt Selbstbestimmung aktiv mit Leben füllen. Dies stellt nicht nur Anforderungen an die Leistungsträger und Leistungserbringer, sondern auch an die Menschen mit Behinderung selbst.
Wenn man Rehabilitation als ganzheitlichen Prozess gestalten will, setzt dies die Fähigkeit zum ganzheitlichen, prozessgesteuerten Denken und Handeln voraus in einem durchlässigen und flexiblen Hilfesystem. Unser Sozialleistungssystem lässt dies zu, und wenn wir die vorhandenen Spielräume im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention nutzen, wenn wir Optimierungsmöglichkeiten in den Prozessen und im System gestalten, um Wirkung und Wirtschaftlichkeit zu steigern, dann werden vom Mehrwert alle Beteiligten profitieren.
Die formulierten Anforderungen umzusetzen, setzt übergreifendes Wissen voraus – über das System, über Auswirkungen von Behinderung, über Wirkungszusammenhänge von Unterstützungsleistungen und Rahmenbedingungen. Nicht umsonst beinhaltet die UN-Behindertenrechtskonvention den Artikel 8 „Bewusstseinsbildung“ und legt damit aber auch nahe: Wissen allein reicht nicht aus, wenn nicht bei den Akteuren Können und Wollen und letzten Endes ein Maß an Einfühlungsvermögen in den jeweils anderen hinzukommen.
Im System von Reha und Teilhabe nimmt die BAR wichtige Rollen für ihre Mitglieder ein: als Partner, als Berater, als Dienstleister ist es ihre Verpflichtung, Grundlagen zu schaffen und weiter auszugestalten, um die Forderungen an die Rehabilitation einerseits umzusetzen und andererseits die Ansprüche der Rehabilitationsträger an sich selbst im trägerübergreifenden Kontext zu erfüllen.
Vor diesem Hintergrund ist manche Gemeinsame Empfehlung und manche trägerübergreifende Vereinbarung vielleicht noch etwas vorsichtig - hier sind kritische Befassung, der Wille zur Weiterentwicklung und Konkretisierung bei den Beteiligten gefragt.
Als neue Geschäftsführerin der BAR wünsche ich mir auf der Basis einer offenen, vertrauensvollen Zusammenarbeit eine kritische Auseinandersetzung mit dem Erreichten, einen zupackenden Umgang mit den Handlungsfeldern, die verbesserungs-/ ausbaufähig sind und eine klare Benennung dessen, was noch aussteht.
Dabei sind unterschiedliche Sichtweisen nicht grundsätzlich hinderlich, sondern menschlich und ja auch zuweilen systembedingt.
Und etwas Humor darf auch dabei sein:
Der Optimist sagt: „Das Glas ist halb voll.“ Der Pessimist sagt: „Das Glas ist halb leer.“ Der Rationalist sagt: „Das Glas ist doppelt so groß, wie es sein müsste.“
Es grüßt Sie herzlich
Ihre Helga Seel
Geschäftsführerin der BAR