"Bedarfsermittlung in der beruflichen Rehabilitation"
Fachtagung am 19. Juni 2013 im Kleisthaus in Berlin
Am 19. Juni 2013 veranstaltete die BAR gemeinsam mit der BAG BBW und der Hochschule Magdeburg Stendal eine Fachtagung zur Bedarfsermittlung in der beruflichen Rehabilitation. Im Rahmen der Machbarkeitsstudie zur „Prüfung von aktuellem Stand und Potential der Bedarfsermittlung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Berücksichtigung der ICF“ wurden erste Ergebnisse zur Diskussion gestellt. Neben der Darstellung der derzeitigen Situation standen vor allem Optimierungsmöglichkeiten im Fokus. Alfons Polczyk (Bundesministerium für Arbeit und Soziales) betonte in seinem Grußwort die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung zu einem vereinfachten, transparenteren und einheitlicheren Bedarfsermittlungsverfahren. Dies sei jedoch nur möglich, wenn alle Akteure gemeinsam an der Weiterentwicklung mitwirken. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist die Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderung besonders bedeutsam, so Ingo Nürnberger (Vorstandvorsitzender der BAR) in seinem Grußwort.
Wie sich die derzeitige Situation der Bedarfsermittlung in der beruflichen Rehabilitation darstellt, erläuterte Prof. Matthias Morfeld (Hochschule Magdeburg-Stendal) anhand ausgewählter Ergebnisse der IST-Analyse. Besonders zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern fänden sich dabei unterschiedliche Schwerpunktsetzungen beim Verständnis von „Bedarf“ und „Bedarfsermittlung“. Jede Akteursgruppe habe – je nachdem wann diese im Prozess beteiligt ist – ein anderes Verständnis und eine anders gelagerte Zielstellung. Hinzu komme, dass die berufliche Rehabilitation ein sehr heterogenes Feld mit einer Vielzahl von beteiligten Akteuren und verschiedene Leistungsarten für verschiedene Personengruppen sei. Diese Heterogenität spiegle sich auch in der Fragebogenerhebung bei Leistungsträgern und Leistungserbringern wider.
Verfahren und Instrumente
Deutlich wurde die Vielfalt von Methoden bei der Bedarfsermittlung. Insgesamt konnten 147 verschiedene Verfahren und Instrumente identifiziert werden, die bei Leistungsträgern und -erbringern im Einsatz sind. Neben einer großen Zahl an Diagnostiken, wie kognitive Leistungstests und klinische Verfahren, die hauptsächlich von Leistungserbringern eingesetzt werden, weisen die von den Leistungsträgern eingesetzten Verfahren und Instrumente eine große Bandbreite auf. Bei Leistungsträgern spielen dagegen Beratungsgespräche und sozialmedizinische Gutachten eine größere Rolle.
Optimierungspotentiale in der Bedarfsermittlung
Im Anschluss skizzierte Prof. Katja Nebe (Universität Bremen) aus sozialpolitischer Perspektive u. a. das Grundrecht von Menschen mit Behinderung auf freie Berufswahl. Dabei spiele die Berücksichtigung der Neigungen bei der Bedarfsermittlung und bei der Auswahl von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eine zwingende Rolle.
Im zweiten Vortrag von Prof. Morfeld wurden Ergebnisse aus den verschiedenen Erhebungen zu den Optimierungsmöglichkeiten vorgestellt und anhand der Rehabilitationsprozess-Phasen „Initiierung“, „Durchführung“ und „Abschluss“ aufgezeigt. Deutlich wurde der Verbesserungsbedarf in der Kommunikation und der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Akteuren. Aber auch bei der Beratung von Menschen mit Behinderung und hinsichtlich der Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Gesamtverfahrens für die Leistungsnehmer formulierte er Optimierungsmöglichkeiten.
Daraus ergibt sich die Frage wie die Verfahren und Instrumente zur Bedarfsermittlung in Zukunft weiterentwickelt werden sollen. Zum einen werden einheitliche Verfahren und eine stärkere Standardisierung als Entwicklungsoptionen formuliert, auf der anderen Seite finden sich aber auch Bedenken, dass bei einer stärkeren Standardisierung die Individualität des Einzelfalls nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden könne. Weitgehend Einigkeit bestand über die Vorteile einer „einheitlichen Sprache“, die zudem die Kommunikation zwischen den Akteuren verbessern und effektiver gestalten solle. Die ICF könnte hier einen Beitrag leisten.
Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) ist den zentralen institutionellen Akteuren der beruflichen Rehabilitation, Leistungsträgern und –erbringern, größtenteils bekannt. Zum Teil hat in den Institutionen bereits eine inhaltliche Auseinandersetzung stattgefunden und die ICF wird auch bereits im Arbeitsalltag genutzt.
Weiterentwicklungsoptionen von Instrumenten und Verfahren
Ausgehend vom Befund, dass die ICF und deren bio-psycho-soziales Grundmodell im Bereich der Rehabilitation akteursübergreifend als Referenzpunkt anerkannt ist, wurden abschließend mögliche Optionen der Weiterentwicklung im Bereich der Instrumente und Verfahren der Bedarfsermittlung im Blick auf deren Verbindungsmöglichkeiten mit der ICF zur Diskussion gestellt (Abb.). Ausgehend von der beschriebenen Vielfältigkeit, könnten sich grundsätzlich verschiedene Wege zu einer inhaltlichen Weiterentwicklung und stärkeren Konvergenz eröffnen, wobei eine Referenz zur ICF in unterschiedlicher Form und Tiefe denkbar sei.
Akteursübergreifende Diskussion in Arbeitsgruppen
Neben einer eingehenderen Auseinandersetzung mit „Instrumenten und Verfahren“ der Bedarfsermittlung, erörterten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Themen „Optimierungspotenziale“ und die „Möglichkeiten und Grenzen der ICF“ in drei Arbeitsgruppen.
Insgesamt wurden verschiedene Ansätze und Weiterentwicklungspfade im Bereich der Bedarfsermittlung formuliert, aber auch Grenzen und Herausforderungen diskutiert. Die Veranstaltung verstand sich als Auftakt für die weitere Diskussion. Für eine erfolgreiche, nachhaltige Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderung hat gerade die Ermittlung und Feststellung des individuellen Bedarfs eine Schlüsselfunktion. Die Ergebnisse der Untersuchung und die Diskussion machen deutlich, wie dringend notwendig eine akteursübergreifende Verständigung dafür ist.
Die Präsentationen stehen auf der Homepage der BAR zur Verfügung. Die Projektergebnisse werden Anfang 2014 veröffentlicht.