Gut beraten?

Was ist „gute Beratung“? Woran erkennt man „gute Beratung“ und wie kann „gute Beratung“  sichergestellt werden? Solchen und ähnlichen Fragen müssen sich die Verantwortlichen von Einrichtungen und Institutionen stellen, die „gute Beratung“ anbieten oder ihre Qualität weiter verbessern wollen.

Ganz allgemein ist das entscheidende Kriterium für „gute Beratung“  die Handlungsfähigkeit der Klienten. Um dieses Ziel zu erreichen, sind professionelle Kompetenzen und Standards notwendig. Vor allem muss zunächst geklärt sein, für welches Beratungsfeld diese Kompetenzen hilfreich sein sollen und welches Verständnis von Beratung dem zugrunde liegt. Steht Beratung im Bereich der Rehabilitation und Teilhabe im Fokus, bietet sich eine Orientierung am Reha-Prozess an, um zu einer umfassenden und  trägerübergreifenden Perspektive zu kommen.

 

Bedeutung für den Reha-Prozess

Im Mittelpunkt der Beratung und des Reha-Prozesses steht der Ratsuchende. Das entspricht einem modernen Verständnis von Teilhabe und Inklusion im Sinne von Individualisierung und Personzentrierung. Damit wird die herausragende Bedeutung professioneller Beratung für die gesellschaftliche und berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen deutlich. Es wird also in Zukunft verstärkt darum gehen, zielführend und systematisch individuelle Beratungskontexte der Rehabilitation aufzubauen, sowie eine professionelle Haltung im Umgang mit Auftraggebern, Netzwerkpartnern und Arbeitgebern einzunehmen. Die Beratungsdienste sind so zu gestalten, dass sie wirksam und an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer orientiert sind. Maßnahmen zur Sicherung der Qualität der Angebote und der Professionalität des Beratungspersonals sowie die Orientierung an allgemein anerkannten Standards, die von allen Akteuren in dem Handlungsfeld akzeptiert und umgesetzt werden, können hierfür einen entscheidenden Beitrag leisten.

Vier grundlegende Merkmale lassen sich dafür identifizieren:

·        Das Beratungshandeln orientiert sich an den Anliegen und Ressourcen der Ratsuchenden.

·        Das Beratungshandeln wird gemäß einer fundierten Qualitätsstrategie entwickelt.

·        Für das Beratungshandeln sind ethische Aspekte wie die Förderung der Autonomie des Klienten handlungsleitend.

·        Transparenz ist im Beratungshandeln abzusichern.

Beratung ist aber kein isolierter Prozess, der sich nur zwischen den Ratsuchenden und Beratenden abspielt, sondern ist auch in einen größeren Rahmen eingebettet. Dieser Rahmen schließt die übergeordneten Organisationen, die Beratung anbieten und finanzieren, mit ein sowie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und politischen Erwartungen, unter denen Beratung stattfindet, z. B. die gesetzlichen Regelungen oder die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Beratung ist also immer in einen organisationalen und gesellschaftlichen Kontext  eingebettet. Aus diesem Grund richten sich die Qualitätsanforderungen nicht nur an die Berater/innen und die Gestaltung des Beratungsprozesses im engeren Sinne, sondern an alle Ebenen, die für das Zustandekommen guter Beratung relevant sind. Professionelle Beratung kann dabei über Leistungs- und Zuständigkeitsdenken und dem Auftrag einzelner Institutionen der Rehabilitation hinaus agieren und damit den Reha-Prozess für den Ratsuchenden niederschwellig gestalten.

Trägerübergreifende Beratungsstandards - Workshop in Mainz

Was eine gute Beratung ausmacht, welche Erwartungen an Beraterinnen und Berater
gestellt werden und welche Kompetenzen ein Berater mitbringen sollte, um diese Erwartungen zu erfüllen, war Inhalt eines zweitägigen Workshops der BAR unter der
Leitung von Bernd Giraud und Carola Penstorf. Vertreterinnen und Vertreter von
Reha-Trägern, Sozialverbänden, Unternehmen und Behindertenverbänden trafen sich
am 3. und 4. April 2014 in Mainz und suchten gemeinsam Antworten auf diese Fragen. Beratung von Menschen mit Behinderung und/oder chronischer Erkrankung hat für die Sozialleistungsträger eine hohe Bedeutung. Sie sind zur Beratung und Aufklärung über Rehabilitation, Teilhabe, Leistungen und Nachsorge der Menschen mit Behinderung verpfl ichtet (z. B. SGB I, SGB IX). Eine gute Beratung stärkt zudem das Recht der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung, wirkt Benachteiligungen entgegen und ist oft entscheidend für einen erfolgreichen Rehabilitationsverlauf.Jede Form der Beratung braucht eine Grundlage. Als Grundlage für die Beratung in der Rehabilitation werden derzeit in einem Projekt der BAR trägerübergreifende Beratungsstandards erarbeitet. Die im Workshop
– als Highlight des Projekts – erarbeiteten Schwerpunkte der Beratungsstandards bilden die Themen: Beratungsverständnis, Kompetenzprofil, Rahmenbedingungen und
Qualitätssicherung. Bereits im Abschlussbericht des Entwicklungsprojekts RehaFutur
wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, die trägerübergreifende Beratung zu
verbessern und trägerübergreifende Beratungsstandards zu erarbeiten. Auch die
Erarbeitung eines Kompetenzprofils und verbindlicher Qualitätsstandards wurden
angeregt. Dies ist im Orientierungsrahmen der BAR von 2013 bis 2015 mit dem Projekt „Trägerübergreifende Beratungsstandards“ aufgegriffen worden.
Zum Einstieg in die Tagung wurde der Frage nachgegangen, was denn eigentlich gute
Reha-Beratung ausmacht. Konsens war, dass der Ratsuchende mit seinen Wünschen und Bedarfen im Zentrum der individuellen Beratung steht. Dass Beratung nicht von alleine und nicht „irgendwie nebenbei“ stattfinden kann und für das Erreichen von Teilhabezielen wie z. B. die berufl iche (Re-) Integration eine wesentliche Rolle spielt, wurde ebenfalls deutlich. Denn die Förderung der Selbstkompetenz der Ratsuchenden beim Zugang zur Rehabilitation, im gesamten
Reha-Prozess und beim Übergang in Arbeit kann nur erfolgreich sein, wenn
mit Hilfe von Beratungsstandards die Beratungsqualität hohen Anforderungen genügt.
Dazu gehören Grundsätze wie Subjektzentrierung, dialogisches Handeln und Bezugnahme auf die Lebenswelt des Klienten.
Die unterschiedlichen Erwartungen, die an Reha-Berater und Reha-Beratung gestellt
werden, wurden in 3 Impulsreferaten thematisiert. So berichtete Annetraud Grote
vom Paul-Ehrlich-Institut, dass Arbeitgeber nur selten über die Möglichkeiten von
berufl icher und medizinischer Rehabilitation und der Förderung der Beschäftigung
von Menschen mit Behinderung informiert sind. Hier seien Reha-Träger gefordert, die
notwendigen Informationen bereitzustellen. Von Arbeitgebern werde gewünscht, eine
Anlaufstelle zu haben, die sie bei Fragen und Problemen kontaktieren können. Die
Erfahrungen zeigten, dass Unternehmen in verschiedenen Bundesländern eine unterschiedliche Qualität in der Zusammenarbeit mit den Rehabilitationsträgern erleben.
Besonders schwierig werde es, wenn ein Unternehmen in mehreren Bundesländern
tätig sei und mit verschiedenen regionalen Rehabilitationsträgern zusammenarbeite,
wenn jeweils unterschiedliche, zum Teil nicht nachvollziehbare, Entscheidungen
getroff en würden. Wichtig für Arbeitgeber seien daher nachvollziehbare und auch zeitnahe Entscheidungen und erreichbare Ansprechpartner.
Auch Eckehard Linnemann von der IG Bergbau Chemie und Energie betonte die
Notwendigkeit von vertrauenswürdigen und verlässlichen Ansprechpartnern. Für
betriebliche Akteure seien die unterschiedlichen Vorgehensweisen verschiedener
Reha-Träger nur schwer verständlich und der Umgang daher mit viel Aufwand verbunden. Er berichtete über Initiativen von Unternehmen und privaten Anbietern, eigene Reha-Einrichtungen und Beratungsangebote aufzubauen.

Welche Erwartungen Menschen mit Behinderung an Reha-Beratung haben, beschrieb
Johannes Schweizer vom Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (ZsL) Mainz e.V. Für ihn ist es notwendig die Reha-Beratung an der UN-BRK zu orientieren, das Wunsch- und Wahlrecht zu berücksichtigen und bei der Beratung neue Wege zu gehen durch Kreativität und Offenheit. Dagegen dürfe sich Beratung nicht an den Leistungen und Institutionen orientieren, sondern müsse sich zunächst an den Bedarfen der Ratsuchenden ausrichten. Auch eine stärkere  Berücksichtigung des Peer-Counseling (Beratung durch gleichartig Betroffene) sei wünschenswert. Dabei wurde deutlich, in welchem Spannungsfeld sich Berater befi nden. Zum einen werden an sie unterschiedliche Erwartungen von verschiedenen Seiten gestellt, zum anderen sind sie von den Rahmenbedingungen in ihren jeweiligen Organisationen abhängig. Die Rolle und die Bedeutung von Reha-Beratung kann auch mit Hilfe des Modells „Reha-Prozess“ entwickelt und definiert werden. Der Reha- Prozess wird vereinfachend und idealtypisch in Abb. 2 beschrieben.
Er besteht aus folgenden 5 Phasen:
■ Bedarfserkennung und
■ Bedarfsfeststellung
■ Teilhabeplanung
■ Anforderungen an die Durchführung von
Leistungen zur Teilhabe
■ Aktivitäten zum/nach Ende der Leistungen zur Teilhabe
Die Übergänge zwischen den Phasen sind fließend. Der Prozess kann jederzeit, z. B.
durch die Erkennung neuer Bedarfe, wieder umgesteuert werden. So kann z. B.  während der Durchführung einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation ein Bedarf für die Prüfung von berufl ichen Teilhabeleistungen ausgelöst werden. Eine Beratung kann daher zu jedem Zeitpunkt und in jeder Phase dieses Prozesses (z. B. bei der Bedarfsfeststellung oder der Teilhabeplanung) notwendig sein und findet  bedarfsorientiert statt.

Reha-Beratung im Reha-Prozess

Im Workshop wurde der Frage nachgegangen, wie Beratung in den einzelnen Prozessphasen gestaltet sein muss und welche Konsequenzen sich daraus für die Erarbeitung des Kompetenzprofi ls ergeben. So kann zum Beispiel der zeitliche Aufwand der Beratung zu Beginn des Reha-Prozesses höher sein als zum Ende. Auch der Fokus der Beratung kann sich verschieben: Steht zu Beginn des Reha-Prozesses oft der Ratsuchende im Zentrum, wird zunehmend der Arbeitgeber mit einbezogen.
Während des Workshops wurde auch an einem Kompetenzprofi l für Reha-Berater
weitergearbeitet. Unter den Begriff en Fachkompetenz, Beratungskompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz, Selbstkompetenz und Netzwerkkompetenz wurden Anforderungen an Reha-Berater entwickelt. Besonders die  Netzwerkkompetenz nimmt bei der Reha-Beratung einen großen Stellenwert ein. Berater brauchen die Vernetzung mit anderen Einrichtungen, um den Ratsuchenden
umfassend beraten und falls notwendig qualifi ziert weiterleiten zu können. Dabei wurde betont, dass Netzwerkarbeit zeitintensiv ist und die Netzwerke gepflegt
werden müssen.
Mit zunehmender Identifi kation der inhaltlichen Anforderungen an gute Reha- Beratung wurde von vielen Teilnehmenden formuliert, Beratung stärker als eigene Leistung wahrzunehmen, um so ihrem Stellenwert im Reha-System gerechter zu werden. Wie sieht die Zukunft aus? Was sagen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer? Beratung und Beratungsformate für die Ratsuchenden werden sich ändern, die Beratungsthemen bleiben ähnlich. Neuere Beratungsformate wie Online- oder Tele-Beratung werden durch technische Weiterentwicklungen voraussichtlich zunehmend genutzt. Das persönliche Gespräch wird aber auch in Zukunft von zentraler Bedeutung sein. Um auf diese zunehmende Vielfalt von Erwartungen an Beratungsformen antworten zu können, wird es Aufgabe der Reha-Träger sein, für jeden Ratsuchenden ein Angebot machen zu können, mit dem sein Anliegen aufgenommen werden kann. Die Ergebnisse des Workshops werden in den nächsten
Sitzungen der Projektgruppe aufgegriffen und weiter genutzt. Mit Fertigstellung und
Veröff entlichung der trägerübergreifenden Beratungsstandards, voraussichtlich im
Sommer 2015, werden dann erstmals trägerübergreifende Grundlagen für die  Beratung der Reha-Träger vorliegen.
Eine verbesserte Beratungsqualität von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in  Gemeinsamen Servicestellen sowie bei Rehabilitationsträgern ist darüber hinaus das
Ziel eines weiteren Projektes bei der BAR: Die Entwicklung einer Konzeption für ein
webbasiertes Wissensportal zur trägerübergreifenden Beratung. Darüber soll in einer
der nächsten Ausgaben gesondert berichtet werden.