Hilfsmittelversorgung – Zuständigkeit von Kranken- oder Pflegeversicherung

Orientierungssätze*

  1. Einem pflegebedürftigen, ständig auf einen Rollstuhl angewiesenen Versicherten kann ein Anspruch gegen die Pflegekasse auf Versorgung mit einer mobilen, elektrisch betriebenen Treppensteighilfe zustehen
  2. Ist ein solcher Versorgungsantrag seit dem 1.1.2012 bei der Krankenkasse gestellt worden, geht die Leistungszuständigkeit im Außenverhältnis zum Versicherten auf sie als erstangegangenen Leistungsträger über.

BSG, Urteil vom 16.07.2014, Az.: B 3 KR 1/14 R
*Leitsätze des Gerichts und Orientierungssätze nach JURIS, jeweils redaktionell abgewandelt

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Der über 80-jährige mehrfach behinderte Kläger bezieht Leistungen der Pflegestufe III. Seine Mietwohnung liegt in der ersten Etage eines Mehrfamilienhauses, das weder über einen Aufzug noch einen Treppenlift verfügt. Mit dem von der beklagten Krankenkasse gestellten mechanischen Rollstuhl kann er die Wohnung nicht verlassen. Er beantragte daher unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung (§ 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V) die Versorgung mit einer Treppensteighilfe als Hilfsmittel gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach Antragsablehnung durch die Krankenkasse wurde der entsprechenden Klage in den Vorinstanzen stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte im Ergebnis keinen Erfolg. Laut Feststellung des BSG rechtfertigt sich der Klageanspruch allerdings nicht aus § 33 SGB V sondern aus § 40 Abs. 1 Satz 1 iVm Abs. 5 Satz 1 SGB XI. Denn im Rahmen des hier allein in Betracht kommenden mittelbaren Behinderungsausgleichs bestehe eine Leistungspflicht der GKV nur für den Basisausgleich der Folgen der Behinderung (s. insbes. § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX), mithin auch nicht für solche Hilfsmittel, die ein dauerhaft behinderter Versicherter allein wegen seiner konkreten Wohnsituation benötigt. Sofern dem pflegebedürftigen Menschen jedoch durch das Hilfsmittel – hier Treppensteighilfe – eine selbstständigere Lebensführung ermöglicht werde, komme eine Leistungspflicht (einzig) der gesetzlichen Pflegeversicherung gem. § 40 SGB XI in Betracht.

Unter Fortsetzung seiner Rechtsprechung (Urt. v. 7.10.2010 – B 3 KR 13/09 R) stellt das BSG erneut klar, dass Leistungen der GKV nicht maßgeblich von anderen als medizinischen Erfordernissen abhängig gemacht werden dürfen und insoweit ein abstrakter, von den Gegebenheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger Maßstab gilt. Ein Versorgungsanspruch nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V besteht auch nicht allein schon deshalb, weil das begehrte Hilfsmittel vertragsärztlich verordnet und im Hilfsmittelverzeichnis (§ 139 SGB V) aufgenommen ist. Um – wie hier – dem besonderen Mobilitätsbedürfnis des pflegebedürftigen Menschen in seiner aktuell genutzten Wohnung zu entsprechen, kommt jedoch als leistungsverpflichteter Träger die gesetzliche Pflegeversicherung in Betracht. Angesichts der Regelung in § 40 Abs. 5 Satz 1 SGB XI (in der ab 1.1.2012 geltenden Fassung) ist – insoweit ungeachtet § 14 SGB IX – dabei unschädlich, wenn der Leistungsantrag anstelle bei der Pflegekasse bei der Krankenkasse gestellt worden ist.

Ergänzender Hinweis: Vor allem bei Fragen der Hilfsmittelversorgung für ältere Menschen mit Behinderung kommt generell als potentieller Leistungsträger neben den erwähnten Reha-Trägern der Sozialhilfeträger nach §§ 53, 54 SGB XII iVm § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX sowie § 9 Abs. 1 EinglHVO in Betracht.