Eingliederungshilfe eine Reform die alle angeht
Aufgabe der Eingliederungshilfe als eine Leistung der Sozialhilfe im Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII) ist es, Personen durch präventive, rehabilitative und integrative Angebote in die Gesellschaft einzugliedern, die durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind.
Den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag, die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterzuentwickeln, will die Bundesregierung mit einem Bundesteilhabegesetz erfüllen. Unter dem Motto „Nichts über uns – ohne uns“ werden Menschen mit Behinderung, ihre Verbände und weitere Akteure kontinuierlich am Gesetzgebungsprozess beteiligt. Bundesministerin Andrea Nahles äußerte in der Auftaktsitzung der im Juli eingerichteten „Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz“: „Mir ist es wichtig, dass die Betroffenen von Anfang an in die Reformüberlegungen einbezogen werden. Mit der Arbeitsgruppe möchte ich die Reform so vorbereiten, dass sie in einem möglichst großen gesellschaftlichen Konsens verabschiedet und umgesetzt werden kann.“
Der lange Weg zur Reform
Viele relevante Akteure und Gremien, unterschiedliche Interessenlagen und verschiedenste Zielrichtungen: bei der Eingliederungshilfe-Reform handelt es sich um einen komplexen und langwierigen politischen Prozess, der nicht nur die Sozialhilfeträger, sondern alle Rehabilitationsträger betrifft.
Die Zeit drängt
Vor dem Hintergrund der Entwicklung der Eingliederungshilfe und ihrer Konsequenzen für die Länder und Kommunen ist eine Reform dringend notwendig: 1991 waren es in Deutschland noch 324.000 Leistungsempfänger und 2011 bereits 788.000. Die Höhe der Kosten lag 1991 bei 4,1 Mrd. € und 2011 bei 14,4 Mrd. € (Quelle: Gitschmann, Peter 2013, Reform der Eingliederungshilfe jetzt! NDV, S. 152-158). Durch die stetige Fallzahl- und Ausgabensteigerung werden die kommunalen Haushalte stark belastet. Die Kosten der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung betrugen 2011 insgesamt 58% aller Sozialhilfe-Ausgaben.
Was soll erreicht werden?
Mit der Forderung nach voller und wirksamer Teilhabe für Menschen mit Behinderungen an allen Aspekten des Lebens setzt die UN-Behindertenrechtskonvention die inhaltlichen Bezugspunkte für die Reform der Eingliederungshilfe und im weiteren Sinne die Weiterentwicklung des gesamten Sozialleistungssystems. Den Menschen mit Behinderung in den Mittelpunkt stellen, bedeutet, dass die erforderlichen Reformen sich an den berechtigten Interessen der Menschen mit Behinderung auszurichten haben.
Die Ziele eines neuen Bundesteilhabegesetzes sind unter anderem:
- Herauslösen der Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe
- Ablösung des bislang dominierenden Einrichtungsbezugs durch eine personenzentrierte Hilfeleistung
- Feststellung von Bedarfen behinderter Menschen mit bundesweit einheitlichen Verfahren
- Einführung einer Gesamtsteuerung zur Koordinierung von Teilhabeleistungen „wie aus einer Hand“ in der Verantwortung eines Trägers
- Entwicklung umfassender Beratungs- und Unterstützungsangebote auf regionaler Ebene
- Schaffung inklusiver Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt
- Finanzielle Entlastung der Haushalte der Länder und Kommunen
Die Reform der Eingliederungshilfe geht alle an
Das anstehende Reformvorhaben darf nicht isoliert unter dem alleinigen Blickwinkel der Eingliederungshilfe angegangen werden. Dies ergibt sich schon allein aus dem systemischen Zusammenhang unseres gegliederten Sozialleistungssystems: insgesamt acht Sozialleistungsträger erbringen Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe und für die Frage wer, wofür und unter welchen Voraussetzungen zuständig ist, gibt es Vorrang- und Nachrangvorschriften. So werden die Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII dann gewährt, wenn nicht ein anderer Leistungsträger vorrangig zur Leistung verpflichtet ist.
Um die Möglichkeiten des Sozialleistungssystems zu nutzen, bedarf es je nach individuellem Unterstützungsbedarf für manche Menschen mit Behinderung Leistungen mehrerer Träger. Wie wichtig für den betroffenen Menschen und den Erfolg der Unterstützungsmaßnahmen Kooperation und Koordination der beteiligten Akteure ist, erschließt sich von selbst.
Aktivitäten der BAR
Für eine trägerübergreifende Auseinandersetzung mit der Reform der Eingliederungshilfe liegt die Initiative der BAR auf der Hand. Schon seit 2009 gibt es eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe“, die ab 2011 gemeinsame Beratungen mit den zentralen Akteuren durchführte. Zusammen mit den Sozialversicherungsträgern, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, den Ländern, der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger (BAGüS) sowie den Sozialpartnern der Selbstverwaltung waren vor allem trägerübergreifende Aspekte Gegenstand ausführlicher Gespräche.
Im Zuge der aktuellen Entwicklung haben die Sozialversicherungsträger auf Ebene der BAR unter trägerübergreifender Perspektive eine abgestimmte Positionierung zur geplanten Reform der Eingliederungshilfe erarbeitet und eingebracht. Darin machen sie unter anderem deutlich, dass eine Reduzierung der Reformüberlegungen alleine auf die Eingliederungshilfe und das SGB XII nicht den Anforderungen an ein modernes Teilhaberecht entsprechen kann. Maßgebend für das Gelingen der Reform sind die gemeinsame, trägerübergreifende Abstimmung und die Verankerung verfahrensrechtlicher Regelungen im SGB IX, als der für alle Sozialleistungsträger geltenden gemeinsamen Klammer.
Wann wenn nicht jetzt
Aktuell werden auf Ebene der BAR Gespräche zwischen der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger und den Sozialversicherungsträgern geführt. Hier gilt es die unterschiedlichen Blickwinkel gemeinsam zu beleuchten und – wo es möglich ist – konsensfähige Positionen zu erarbeiten, die in die Beratungen zum Reformprozess einfließen können.
Unter anderem geht es um folgende Aspekte:
- Personenzentrierung
- Beratung/ Beratungsstrukturen
- Trägerübergreifende Bedarfsermittlung und Bedarfsfeststellung
- Gesamtsteuerungsverantwortung
Der Erfolg der Eingliederungshilfereform wird auch davon abhängen wie gut die Kooperation und Koordination der Akteure im gegliederten System funktionieren wird. Grundlagen dafür beinhaltet das SGB IX, das seit 2001 in Kraft ist und Vorschriften für die Zusammenarbeit enthält. Wenn allerdings beobachtet wird, dass einerseits die Umsetzung noch lange nicht zufriedenstellen kann, andererseits aber festgestellt wird, dass die Zielsetzungen des SGB IX nach wie vor richtig sind - dann bietet sich jetzt die Chance, die Schwächen anzupacken und die Regelungen entsprechend zu gestalten, dass sie die Kooperation und Koordination innerhalb des gegliederten Sozialleistungssystems so stärken, dass die Möglichkeiten unserer Sozialleistungen auch wirklich bei den Menschen mit Behinderung im Sinne der UN-BRK ankommen. Das ist anspruchsvoll, aber lohnenswert und zwar für alle Beteiligten.