Wann ist die Reform ein Erfolg? Das sagen Expertinnen und Experten
Aus Sicht der Menschen mit Behinderung ist die Reform ein Erfolg, wenn Menschen mit Behinderung ein echtes Wunsch- und Wahlrecht haben. Wenn Leistungen so personenzentriert erfolgen, dass eine echte Teilhabe möglich ist. Wenn Menschen mit Behinderung endlich ein Recht auf Sparen haben und ihr Einkommen oder Vermögen nicht auf Leistungen angerechnet wird.
Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen
Aus Sicht der Menschen mit Behinderung ist die Reform ein Erfolg, wenn die Weiterentwicklung im SGB XII als echtes Teilhaberecht gelingt. Denn Fürsorge stinkt uns! Wir wollen das Zusammenwirken der Kostenträger. Der Paragraph 14 muss endlich scharf gestellt werden. Es reicht uns schon lange von A nach B zu rennen, ohne Erfolg. Wir wollen mehr Selbstbestimmung und zumindest den Einstieg in ein Bundesteilhabegeld! Wenn es bloß eine Reform der Eingliederungshilfe bleibt, werden wir die Ziele der UN-BRK nicht verwirklichen! Wir wollen nicht mehr behindert werden!
Norbert Killewald, Beauftrager der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderung in Nordrhein-Westfalen
Aus Sicht der Krankenversicherung ist die Reform ein Erfolg, wenn es damit gelingt, die Rechte, die Lebenssituation und die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen weiter zu stärken. Hierbei spielt die (träger-)übergreifende Beratung, Bedarfsfeststellung, Leistungsplanung und -koordination eine wichtige Rolle. Um diese weiter zu optimieren, bedarf es nicht des Aufbaus neuer Strukturen sondern einer konsequenten Verzahnung und Weiterentwicklung der bestehenden Angebote und Verfahren unter dem Dach des SGB IX.
Oliver Blatt, Abteilungsleiter Gesundheit, Verband der Ersatzkassen (vdek)
Aus Sicht der gesetzlichen Unfallversicherung ist die Reform der Eingliederungshilfe ein Erfolg, wenn die gesetzlichen Regelungen so präzisiert werden, dass alle Menschen mit Behinderungen die erforderlichen Leistungen zur Teilhabe immer entsprechend ihres individuellen Bedarfs erhalten. In Umsetzung des Inklusionsgedankens der UN-BRK haben behinderte Menschen mit komplexem Reha-Bedarf Anspruch auf ein ganzheitliches Fallmanagement und eine übergreifende Teilhabeplanung. Die gesetzliche Unfallversicherung mit ihrem besonderen Auftrag zur Rehabilitation und Teilhabe „aus einer Hand“ verfügt über besondere Kompetenzen zur Durchführung eines umfassenden und individualisierten Reha-Managements für ihre Versicherten. Sie ist bereit, diese Expertise und Erfahrungen in die aktuelle Diskussion um ein Bundesteilhabegesetz und die weitere Optimierung der Fallsteuerung auch bei trägerübergreifenden Konstellationen einzubringen.
Dr. Joachim Breuer, Hauptgeschäftsführer Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV)
Aus Sicht der Rentenversicherung ist die Reform ein Erfolg, wenn es gelingt, mehr Menschen mit schweren oder schwersten Behinderungen und komplexen Bedarfslagen die vollständige Partizipation und Inklusion im Sinne der UN-Behindertenrechts= konvention zu ermöglichen. Eine aktive Beteiligung aller Reha-Träger -insbesondere auch der kommunalen Träger- in den Gemeinsamen Servicestellen zur Optimierung der Leistungserbringung für die betroffenen Menschen würde die Deutsche Rentenversicherung begrüßen.
Gundula Roßbach, Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund
Aus Sicht der Arbeitslosenversicherung ist die Reform ein Erfolg, wenn sich die beruflichen Integrationsmöglichkeiten der Betroffenen nachhaltig verbessern, individuelle Kompetenzen stärker berücksichtigt werden, innovative Möglichkeiten zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten etabliert werden und eine sach- und systemgerechte Aufgaben- und Leistungsverantwortung vorgesehen wird.
Torsten Brandes, Stellvertretender Geschäftsführer Arbeitslosenversicherung, Bundesagentur für Arbeit (BA)
Aus Sicht der Selbstverwaltung ist die Reform ein Erfolg, wenn diese Reform nicht dazu missbraucht wird, zur jeweils eigenen Entlastung Kosten von einem Träger auf andere Träger bzw. vom Steuerzahler auf die Beitragszahler zu verschieben. Bei der Reform muss es ausschließlich darum gehen, die Eingliederungshilfe mit Blick auf die Betroffenen effizienter und effektiver auszugestalten. Der Selbstverwaltung - besser: den Selbstverwaltungen in der BAR und bei den Sozialversicherungsträgern - kommt bei der Eingliederungshilfereform und damit bei der Weiterentwicklung von Rehabilitation und Teilhabe eine sehr große Bedeutung zu. Allerdings nur dann, wenn sie zum einen weiß, was sie gemeinsam will, und wenn sie zum anderen willens ist, sich auch gemeinsam zu positionieren.
Dr. Volker Hansen, Abteilungsleiter Soziale Sicherung, Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)
Aus Sicht der Gewerkschaften ist die EGH-Reform ein Erfolg, wenn die Menschen mit Behinderung in Zukunft schneller zu den Unterstützungsleistungen kommen, die sie brauchen. Die Rehabilitationsträger müssen künftig noch enger zusammenarbeiten, miteinander und vor allem mit dem Betroffenen reden. Dafür müssen die Vorgaben des SGB IX geschärft werden. Das heißt: Klare Regeln für die Begutachtung, für Bedarfsfeststellung und Leistungsplanung im Einzelfall - und starke Institutionen, die die Kooperation organisieren. Auf Bundesebene ist das die BAR, die eigenständig im SGB IX mit einer zweckmäßigen Aufgabenbeschreibung – zum Beispiel Koordination, verbindliche Vereinbarungen der Rehabilitationsträger organisieren, Forschung und Modellvorhaben, Berichterstattung – und einer starken Selbstverwaltung verankert werden sollte. Außerdem muss gelten: Behinderung darf nicht arm machen. Deshalb sollte die bürokratisch aufwändige Bedürftigkeitsprüfung bei der Eingliederungshilfe zurückgedrängt werden.
Ingo Nürnberger, Leiter Abteilung Sozialpolitik, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
Aus Sicht der Länder ist die Reform ein Erfolg, wenn mit dem neuen Bundesteilhabegesetz die Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe gelingt, die Eingliederungshilfe möglichst ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen geleistet wird, die Träger der Eingliederungshilfe mit dem Bedarfsermittlungs- und –feststellungsverfahren ein Steuerungsinstrument erhalten, um Inklusion für Menschen mit Behinderungen gestalten und umsetzen zu können und gleichzeitig finanziell entlastet werden.
Bernhard Scholten, Leiter der Abteilung Soziales und Demografie, Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz (MSAGD)
Aus Sicht der Länder ist die Reform ein Erfolg, wenn die Länder und Kommunen in die Lage versetzt werden, trotz einer steigenden Zahl von Leistungsempfängern auch künftig die Leistungen zur Teilhabe in einer zeitgemäßen und bedarfsentsprechenden Weise unter Berücksichtigung des Inklusionsgedankens zu erbringen und durch die Reform die Bereitschaft der gesamten Bevölkerung gestärkt wird, Menschen mit Behinderung im Lebensalltag als wertvolle und gleichgestellte Partner zu begreifen und anzunehmen.
Burkard Rappl, Leiter Abteilung IV, Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration (StMAS)
Aus Sicht der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen ist die Reform ein Erfolg, wenn der Ansatz der Personenzentrierung, wie wir ihn seit längerem aus dem individuellen Unterstützungsangebot sowohl in der Kriegsopferfürsorge wie auch in der Begleitenden Hilfe im Arbeitsleben nach dem Schwerbehindertenrecht kennen, regelhaft auch bei den Rehabilitationsleistungen zur beruflichen Teilhabe behinderter Menschen umgesetzt wird. Erfolgsparameter ist für uns ferner, wenn die mit dem Stichwort Budget für Arbeit angesprochene stärkere Ausrichtung der Eingliederungshilfe auf die berufliche Teilhabe auch wesentlich behinderter Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt im Sinne der Inklusion konsequent fortgesetzt wird, z. B. durch laufende Leistungen an Arbeitgeber wie den Produktivitätsausgleich bei regulärer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.
Ulrich Adlhoch, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)
Aus Sicht der überörtlichen Träger der Sozialhilfe ist die Reform ein Erfolg, wenn die auf Leistungen der Eingliederungshilfe angewiesenen Menschen im Zuge eines partizipativen Teilhabemanagements künftig individuell bedarfsgerechte Unterstützung zum Arbeiten und Wohnen erhalten, auf deren Basis sie selbstbestimmt und inklusiv in ihren jeweiligen Sozialräumen leben können. Beim Teilhabemanagement kommt der verbindlichen trägerübergreifenden Zusammenarbeit und der sachgerechten Bündelung aller bestehenden Leistungsansprüche besondere Bedeutung zu. Ein bundesfinanziertes Teilhabegeld kann als neues Kernelement des Systems nicht nur ganz im Sinne der Behindertenrechtskonvention Autonomie und Selbstbestimmung stärken, sondern gewährleistet als neuer Beitrag zur Bedarfsdeckung auch die dringend nötige Entlastung der Leistungsträger.
Matthias Münning, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS)