Interview mit der Behindertenbeauftragten Verena Bentele
Welche Perspektiven für Menschen mit Behinderung bietet für Sie das System der Rehabilitation und Teilhabe? Und wo steht in diesem Zusammenhang die BAR für Sie?
Durch die UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland 2009 ratifiziert hat, ist das Selbstverständliche noch einmal deutlich geworden: Die universellen Menschenrechte gelten ohne wenn und aber für Menschen mit Behinderungen. Das bedeutet: Auch Menschen mit Behinderungen muss die vollständige Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eröffnet werden. Sie sollen die Möglichkeit haben, ihr Leben nach ihren Vorstellungen und Fähigkeiten gestalten zu können. Und hier soll das System der Rehabilitation und Teilhabe ansetzen. Es soll sicherstellen, dass die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben und zum Leben in der Gemeinschaft möglichst abgestimmt aufeinander erfolgen, als Ganzes. Das System soll einheitlich vom Menschen her gedacht werden, denn auch er lässt sich nicht in seine verschiedene Teile unterteilen. Und hier erfüllt die BAR bereits jetzt eine zentrale Funktion: Denn Ganzheitlichkeit kann nur durch Koordination und Kooperation gewährleistet werden, Zuständigkeiten müssen geklärt sein, einzelne Maßnahmen verzahnt werden. Um diese Rahmenbedingungen zu klären, kann auf die BAR ein neues Aufgabenspektrum zukommen. Denn die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung muss weiter verbessert werden - dazu muss noch einiges getan werden.
Was meinen Sie konkret? Wo sehen Sie die Schwerpunkte Ihrer Tätigkeit für die nächsten Jahre?
Meine Kollegen aus den Ländern und ich haben in diesem Jahr bereits eine Erklärung mit ganz klaren Forderungen verabschiedet. Ein wichtiger Punkt: Leistungen der Eingliederungshilfe gehören nicht in die Sozialhilfe, Behinderung und Sozialhilfe haben nichts miteinander zu tun. Teilhabeleistungen müssen im SGB IX verankert werden. Zu einer solchen Reform muss auch gehören, dass Einkommen oder Vermögen von Menschen mit Behinderungen nicht mehr auf Assistenzleistungen angerechnet werden. Momentan dürfen Menschen, die erhöhten Assistenzbedarf haben, nicht mehr als 2600 € ansparen. Diese Regelung trägt aber nicht dazu bei, dass sich die Lebenssituation des oder der Einzelnen verbessert. Auch Menschen mit Behinderung haben das Recht, Geld für einen Urlaub oder zur Unterstützung der Kinder auf die Seite zu legen. Ein weiterer Punkt: Die Reform des Teilhaberechts muss auch zusammengedacht werden mit der Pflegereform. Denn ein Recht auf Teilhabe und unabhängige Lebensführung gilt auch bei Pflegebedürftigkeit, egal ob Mensch mit oder ohne Behinderung. Pflegeleistungen müssen sich genau wie Teilhabeleistungen nach dem individuellen Bedarf einer Person ausrichten. Dazu braucht es ein Gesamtkonzept. Das Thema Bundesteilhaberecht steht deswegen weit oben auf meiner Agenda für die nächsten vier Jahre.
Motivation, Zusammenarbeit, Vertrauen – das waren Schwerpunkte Ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit in der Personalentwicklung. Welche Rolle können diese Aspekte im Rahmen der trägerübergreifenden Zusammenarbeit spielen?
Diese Aspekte spielen in jeder Zusammenarbeit eine Rolle, sowohl zwischen Individuen als auch zwischen Organisationen. Dazu gehört, dass Expertise, Kompetenzen und Aufgaben des jeweils anderen nicht nur erkannt, sondern in der alltäglichen Arbeit auch tatsächlich darauf vertraut wird. Jeder Einzelne ist auf den anderen angewiesen. Wichtig ist, immer im Sinne des großen Ganzen zu denken. Denn die Zusammenarbeit ist kein Selbstzweck - es geht letztendlich um die Menschen. Eine Zusammenarbeit muss immer von der Sache her gedacht werden.
Verena Bentele ist seit Januar 2014 im Amt der Behindertenbeauftragten. Die kommenden vier Jahre ihrer Amtszeit hat sie unter das Motto „Inklusion bewegt“ gestellt. „Die inklusive Gesellschaft wird bunter, vielfältiger und bewegter sein“, so Verena Bentele. Inklusion braucht Bewegung, Mut und Energie. Hierfür steht der Adler, der ein wenig an den Bundesadler erinnert und auf ein buntes, vielfältiges Deutschland verweist.