Neue Verfahrensregelungen des SGB IX bei vor Rechtsänderung begonnenen Leistungsfällen
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Orientierungssätze*
■ Wird ein Gesetz mit verwaltungsverfahrensrechtlichem Inhalt während eines gerichtlichen Verfahrens geändert, so richtet sich der zeitliche Anwendungsbereich des Gesetzes nach allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts, sofern nicht ein abweichender „Geltungswille des Gesetzes“ festzustellen ist. Änderungen des Verfahrensrechts sind mithin bei bereits anhängigen Verfahren grundsätzlich zu beachten.
■ Regelungen über die Zuständigkeit nach § 14 SGB IX sind dem formellen Recht zuzuordnen, dessen Änderungen denen des Verfahrensrechts vergleichbar sind.
BSG, Urteil vom 13.7.2017, Az.: B 8 SO 1/16 R
*Leitsätze des Gerichts und Orientierungssätze nach JURIS, jeweils ggf. redaktionell abgewandelt und gekürzt
Der Kläger ist, u.a. anlagebedingt und aufgrund von Alkoholabusus, in seiner Leistungs- und Teilhabefähigkeit in vielerlei Hinsicht eingeschränkt. Seit 1992 ist er in einer Einrichtung der Nichtsesshaftenhilfe untergebracht. Die Kosten übernahm zunächst im Wesentlichen der Landschaftsverband, ab 1994 dann durchgehend – auch nach Inkrafttreten des SGB IX – die Beklagte als Trägerin der Sozial- bzw. Eingliederungshilfe. Die Kostenübernahme erfolgte durch Zahlung an die Einrichtung auf monatlicher Basis nach Vorlage entsprechender Abrechnungen. Ab 1.7.2005 lehnte die Beklagte die Übernahme ungedeckter Heimkosten unter Verweis auf fehlende Zuständigkeit ab.
In der Revisionsinstanz war zuletzt u.a. die Frage zu entscheiden, ob die Zuständigkeit für die Kostenübernahme auch in diesem Fall dem damals neuen § 14 SGB IX zu beurteilen sei. Dies hat das BSG in seiner Entscheidung klar bejaht. Angelpunkt ist, dass die Zuständigkeitsregelungen des § 14 SGB IX als dem Verfahrensrecht vergleichbares formelles Recht eingeordnet werden; Änderungen des Verfahrensrechts sind grundsätzlich auch bei bereits anhängigen Verfahren zu beachten. Allerdings stellt das BSG auch klar: Die Anwendbarkeit des § 14 SGB IX bedeutet nicht, dass Reha-Träger im Außenverhältnis bereits dann zuständig werden, wenn die Fristen des § 14 Abs. 1 SGB IX zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits abgelaufen sind. Ein solches Verständnis widerspräche dem Rechtsstaatsprinzip. Der die Leistung erbringende Reha-Träger muss die Möglichkeit erhalten, nach Inkrafttreten des SGB IX seine Zuständigkeit zu prüfen und den Leistungsfall ggf. an den (eigentlich) zuständigen Leistungsträger abzugeben. Zur Harmonisierung der Zuständigkeitsregelung mit dem materiellen Leistungsrecht ist es geboten, die seinerzeit in Art. 67 des Gesetzes vom 19.6.2001 normierten Grundsätze zum Übergangsrecht im materiellen Leistungsrecht auf § 14 SGB IX zu übertragen. Im konkreten Fall hatte die Beklagte Monat für Monat durch Zahlung an die Einrichtung jeweils konkludent eine Entscheidung über die Leistungsbewilligung getroffen. Sie hätte, um ihre Zuständigkeit nach § 14 SGB IX zu vermeiden, vor der ersten anstehenden Verlängerung der (konkludenten) Leistungsbewilligung nach dem 1.7.2001 ihre Zuständigkeit prüfen und ggf. eine Weiterleitung an den zuständigen Leistungsträger verfügen müssen.
Dass Rechtsänderungen betreffend § 14 SGB IX grundsätzlich auch bei bereits laufenden Verfahren zu beachten sind, ist angesichts der zum 1.1.2018 durch das BTHG erfolgten Rechtsänderungen in den §§ 14ff. SGB IX von allgemeiner Bedeutung. Allerdings dürften aus trägerübergreifender Perspektive oft zusätzliche, im entschiedenen Fall anders gelagerte bzw. nicht maßgebliche Aspekte zu berücksichtigen sein, z.B.: 1) Das BTHG enthält keine allgemeine Übergangsregelung zum materiellen Recht. 2) Die neuen §§ 14ff. SGB IX regeln nicht nur das Verwaltungsverfahren abschließende sondern vor allem auch vorbereitende Verfahrenshandlungen. 3) Viele Reha-„Fälle“ sind nicht von regelmäßig fortgesetzt erteilten Bewilligungen geprägt.