Stärkung von Pflegenden Angehörigen
Seminarreihe der ZNS-Hannelore-Kohl-Stiftung und der Hochschule der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
Durch einen Autounfall erlitt Frau B. im Jahr 2005 ein Schädelhirntrauma dritten Grades und wurde pflegebedürftig. Sie kann nicht sprechen. Abgesehen von ihrer Restmobilität im linken Arm kann sie keine kontrollierten Bewegungen mehr ausführen. „Ihr aktueller Zustand ist mit völlig hilflos gut umschrieben“, erzählt ihr Ehemann. Herr B. betreut und pflegt seine Frau zu Hause mit Unterstützung eines Pflegedienstes und einer Betreuerin.
Plötzlich und unerwartet stehen Angehörige oft vor einer solchen Situation: Durch einen Unfall oder die Erkrankung eines Familienmitgliedes müssen sie von heute auf morgen die Verantwortung für die nötige Pflege übernehmen. Die neue Situation stellt eine Herausforderung für alle Familienmitglieder dar, denn sie bedeutet oftmals eine „Rundum-die-Uhr“ Betreuung – an sieben Tagen in der Woche. Oft ist in der Folge Pflege für viele Jahre erforderlich. Die Seminarreihe „Anleitung und Unterstützung pflegender Angehöriger“ beschäftigt sich mit der Situation von Pflegenden.
Hintergrund
Über 2,8 Millionen Menschen sind in Deutschland pflegebedürftig und somit auf Hilfe und Unterstützung durch andere Menschen angewiesen. Prognosen gehen davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2030 auf bis zu 3,5 Millionen steigen dürfte. Von den 2,8 Millionen Menschen werden über 73 % gegenwärtig zuhause versorgt. Die übrigen 27 % werden im Heimen gepflegt. In der Summe wird bei über 2 Millionen Menschen die Pflege zu Hause sichergestellt. Dabei leisten bei über 1,3 Millionen Menschen ausschließlich Angehörige, Freunde und Bekannte die nötige Pflege und Versorgung – bei Bedarf rund um die Uhr.
(Quelle: Statistisches Bundesamt 2015).
Pflegende Angehörige im Mittelpunkt
Angehörige streben nach Bewältigung der neuen Lebenssituation, erleben dabei aber häufig die Konfrontation mit den eigenen physischen und psychischen Grenzen und spüren durch zusätzliche zeitliche Belastungen eine soziale Isolierung. Innerfamiliäre Konflikte, finanzielle Schwierigkeiten aufgrund veränderter Einnahmen und Ausgaben sowie eine deutliche Mehrbelastung durch den erhöhten Organisationsaufwand erschweren die Gesamtsituation. Letztlich laufen pflegende Angehörige schnell Gefahr, die Grenzen der eigenen Belastbarkeit zu überschreiten und selbst krank zu werden.
Zweimal im Jahr bieten die Kooperationspartner ZNS-Hannelore-Kohl-Stiftung und die Hochschule der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (HGU) Wochenendseminare für pflegende Angehörige an. Das Seminarangebot richtet sich an alle, die einen Angehörigen mit einer erworbenen Hirnschädigung zu Hause pflegen und / oder betreuen, oder sich noch in der Entscheidungsphase befinden, ob sie die Pflege zu Hause übernehmen können und wollen.
Unterstützung und Entlastung
Herr B. hatte sich infolge der Pflegebedürftigkeit seiner Frau einer Selbsthilfegruppe angeschlossen. Dort erfuhr er vom Seminarangebot „Anleitung und Unterstützung pflegender Angehöriger“. Er hat bereits mehrmals teilnehmen können. Die Atmosphäre des Seminars beschreibt Herr B. als hilfreich, konstruktiv und locker. „Als pflegender Angehöriger muss man den anderen Teilnehmern seine Situation nicht erklären. Wir sind alle Betroffene und haben ein gemeinsames Ziel: Den Pflegealltag zu Hause bestmöglich zu gestalten.“ Während des Seminars bieten Fachvorträge, Gesprächsrunden und Workshops praktische Hilfestellungen und Anregungen für die herausfordernde Aufgabe im Pflegealltag. „Ich habe verschiedene Techniken, Lagerungshilfen und Handgriffe im Pflegeworkshop gelernt, die ich im Nachgang anwenden kann. Im letzten Seminar habe ich zum Beispiel gelernt, eine Gesichtsmassage durchzuführen. Allein aufgrund des freudigen Gesichtes meiner Frau hat sich die Teilnahme in diesem Jahr gelohnt“, weiß Herr B. zu berichten.
Wesentliche Bestandteile des Seminars
■ Wissensvermittlung über die Erkrankung bzw. die Unfallfolgen, den weiteren Verlauf und mögliche Therapien, mit dem Ziel das Krankheitsverständnis zu fördern.
■ Förderung der Pflegekompetenzen. Angehörige erlangen Sicherheit bei der Durchführung der häuslichen Pflege (z. B. Vermittlung von praktischem Basiswissen, Anwendung geeigneter Pflegetechniken). Gerade Angehörige, die sich noch in der Entscheidungsphase befinden, ob sie sich die Pflege zu Hause zutrauen, bekommen einen Einblick, welche Anforderungen an sie gestellt werden.
■ Fachgerechter Einsatz von Hilfsmitteln in der Pflege
■ Vermittlung von Informationen über pflegerische, rechtliche und finanzielle Unterstützungs- und Entlastungsmöglichkeiten
■ Austausch mit Gleichbetroffenen. Das Seminar bietet einen geschützten Raum, in dem Erfahrungen im Umgang mit diesen Problemen und praktische Ratschläge für die Pflege zu Hause ausgetauscht werden können.
■ Sensibilisierung für die eigene Belastungsgrenze und Vermittlung von Maßnahmen zur Selbstpflege. Immer wieder lassen sich pflegende Angehörige von ihrer pflegerischen Aufgabe vollkommen vereinnahmen, ohne dabei an die Pflege des eigenen Körpers, an Entlastung und Regeneration zu denken. Im Seminar haben sie die Möglichkeit, Entspannungsmethoden zum besseren „Abschalten“ zu erlernen.
■ Praktische Hilfestellungen für den Umgang mit Konflikten im Alltag. Der Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten und Wesensveränderungen beim Pflegebedürftigen wird von pflegendenAngehörigen als äußerst schwierig beschrieben. Das führt zu Konflikten im Alltag, die durch das Erlernen von entsprechenden Umgangsweisen und die Vermittlung von psychologischem Grundwissen vermieden werden können.
Das Seminar bietet pflegenden Angehörigen die Möglichkeit, einmal mehr dem „Alltag zu entkommen“ und neue Kräfte zu sammeln. „Abends, nach einem intensiven Seminartag oder beim gemeinsamen Ausflug wird dann auch mal über andere Themen gesprochen. Das ist Entspannung und wird nicht als Egoismus gewertet. Entspannung ist Programm!“ Der intensive Erfahrungsaustausch mit Gleichgesinnten soll emotional erleichtern und bietet pflegenden Angehörigen Zeit und Raum, über sich selbst in der Rolle der Pflegenden nachzudenken und einen sinnvollen Umgang mit den persönlichen Grenzen zu entwickeln. Damit die Helfer nicht hilflos werden.
Weitere Informationen bekommen Sie bei der
Hochschule der
Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (HGU),
Campus Hennef,
Zum Steimelsberg 7,
53773 Hennef;
E-Mail: caroline.lueder@dguv.de.