Der lange Weg zur inklusiven Kinder- und Jugendhilfe
Moderner, teilhabeorientierter Behinderungsbegriff in allen Bereichen des SGB VIII
Seitdem Deutschland 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert hat, ist die Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe aller Menschen verpflichtend. Die Zusammenführung der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) und der Eingliederungshilfe (SGB IX) für junge Menschen war in den letzten Jahren ein zentraler Punkt in fachlichen Debatten. Die Herausforderung besteht darin, beispielsweise die Antragsstellung sowie die Hilfsangebote einfacher und übersichtlicher zu gestalten.
Verpflichtet durch die UN-BRK wurde 2018 damit begonnen, die künstliche Trennung zu beseitigen. Der vom Bundesfamilienministerium initiierte partizipative Prozess „Mitreden – Mitgestalten“1 mündete schließlich im Jahr 2021 in das Inkrafttreten des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG).
Diese Zusammenführung soll bis spätestens 2028 durch die Verabschiedung eines neuen Gesetzes vollzogen werden. Als Zwischenschritt wurden Verfahrenslots*innen implementiert. Angesiedelt beim öffentlichen Träger der örtlichen Kinder- und Jugendhilfe, dem Jugendamt, haben sie einerseits die Aufgabe, junge Menschen und deren Familien in deren Ansprüchen auf Eingliederungshilfe zu beraten und andererseits das Jugendamt auf die Zusammenführung der Leistungen vorzubereiten.2
Beteiligungsformate
Wie dies aussehen kann, eruierte man in einem weiteren Beteiligungsprozess unter dem Motto „Gemeinsam zum Ziel: Wir gestalten die inklusive Kinder- und Jugendhilfe“3 bis Ende 2023. In Beteiligungsformaten von Praxis, Wissenschaft, Verbänden, Politik und Betroffenen aus Eingliederungshilfe sowie Kinder- und Jugendhilfe wurden Umsetzungsanforderungen einer inklusiven Lösung diskutiert. Es müssen gemeinsame Leitlinien für eine bedarfsorientierte Leistungserbringung
entwickelt werden.
Doch eine alleinige Verwaltungsreform würde noch keine inklusive Kinder- und Jugendhilfe ausmachen. Entscheidend wird es sein, wie die Leistungsempfänger die Weiterentwicklung wahrnehmen und welchen Mehrwert sie damit verbinden können.
Leitgedanke der Reform muss es sein, bestehende Leistungen von Eingliederungshilfe sowie Kinder- und Jugendhilfe für alle jungen Menschen, ob mit oder ohne Behinderungen, abzustimmen, sodass diese auf die Person und das Familienumfeld abzielen.
Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Artikels befindet sich der Entwurf dieses Gesetzes noch in Arbeit. Hervorzuheben ist jedoch, dass sich im novellierten SGB VIII in allen Bereichen der moderne, teilhabeorientierte Behinderungsbegriff wiederfinden muss, die bestehende Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Behinderungsbegriffe (vgl. §§ 7 und 35a SGB VIII) muss aufgelöst werden. Weiterhin gilt es im Sinne der Kinderrechte und der UN-Kinderrechtskonvention darauf hinzuwirken, dass Kinder und Jugendliche Anspruchsinhaber*innen der Leistungen sein müssen, ebenso wie die Eltern, wenn es um Leistungen der Hilfen zur Erziehung geht.
Sowohl in der UN-BRK als auch in den Nachhaltigkeitszielen der UN ist klar formuliert, dass weder Geschlecht, soziale oder wirtschaftliche Bedingungen noch besondere Lernbedürfnisse aufgrund von Behinderungen oder Krankheiten dazu führen dürfen, dass ein Mensch seine Potenziale nicht voll entfalten kann. Dieses Verständnis von Inklusion erfordert von (pädagogischen) Fachkräften die Umsetzung der Rechte junger Menschen und eine entsprechende fachliche, politische und organisationale Haltung. Daran muss sich der kommende Gesetzentwurf messen lassen.
1 www.mitreden-mitgestalten.de
2 Ausführlich dazu Kieslinger et al. 2024: Verfahrenslotsen – Zwischen unabhängiger Beratung und Organisationsentwicklung. Funktion, Rolle, Best Practice, Freiburg i.Br.: Lambertus.
3 gemeinsam-zum-ziel.org