„Weil es einfach so ist!“…
Eine Mutter berichtet vom Übergang ihres Sohnes von der Schule in den Beruf
Jonas (Name geändert) ist 15 Jahre alt und hat das Syndrom Mikrodeletion 22q11. Dabei ist ein Stück Erbmaterial auf einem der beiden Chromosomen 22 an der Stelle q11 verloren gegangen. Ungefähr eines von 4000 Kindern ist davon betroffen. Jonas bekam die Diagnose erst mit zehn Jahren, da er keine typischen Symptome hatte, wie Herzfehler, Gaumenspalte, Kalziummangel. Während der Kindheit traten Sprachentwicklungsverzögerungen und eine allgemeine Entwicklungsverzögerung mit Schlafstörungen und Konzentrationsdefiziten auf. Jonas IQ liegt im unteren Durchschnittsbereich. Er besuchte die Regelschule. Lernschwierigkeiten machten eine Schulbegleitung in der Grundschulzeit notwendig. Jonas besuchte anschließend die Realschule. Begleitet durch das Beratungs- und Förderzentrum, wird er nach der 9. Klasse hoffentlich mit dem Hauptschullabschluss abschließen.
Vor welchen Entscheidungen stehen Sie mit der speziellen Situation von Jonas vor dem Einstieg ins Berufsleben?
Wir haben uns gefragt, ob er mit seiner Beeinträchtigung eine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen kann und welche Ausbildung zu ihm passt. Wie kann man gesundheitliche Probleme mit einer Ausbildung am besten vereinbaren? Manchmal denke ich, ob ich ihm die Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt nehme, wenn er in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung eine Ausbildung macht. Und wenn er es auf dem ersten Arbeitsmarkt versuchen muss, dann nehme ich ihm vielleicht die Unterstützung, die er aber dringend braucht. Das hat uns ja ein Praktikum in einer Firma ganz deutlich gezeigt.
Welche Beratungsmöglichkeiten konnten Sie nutzen und haben sich daraus berufliche Perspektiven für Jonas ergeben (Wahlmöglichkeiten)?
Wir haben die Berufsberaterin der Schule kontaktiert, die uns an die Reha- Abteilung der Agentur für Arbeit weitergeleitet hat. Bei einem ersten Termin erfolgte eine psychologische Testung. Aber ob man mit einem Computertest das Potenzial eines Menschen erkennen kann, ist doch fraglich. Ich hatte schon Angst, dass wir nur die WfbM als Möglichkeit vorgeschlagen bekommen. Die Agentur hat eine theoriereduzierte Ausbildung im einem BBW empfohlen. Dazu muss er aber erst einmal wissen, was er werden will. Daher ist eine berufsvorbereitende Maßnahme sinnvoll. Eine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt hat die Arbeitsagentur nicht in Betracht gezogen, da er noch viel Unterstützung braucht. Aber das nächste BBW ist über 70 Kilometer entfernt ist. Jonas braucht die Familie und ich denke dieser neue Lebensstilweg von zu Hause würde ihn stressen. Psychiatrische Erkrankungen sind bei dem Syndrom keine Seltenheit und Stress fördert diese Krankheiten. Auf der anderen Seite sind im BBW Menschen, die sich um ihn kümmern. Das sind wirklich schwierige Entscheidungen.
Welche Probleme könnten aus Ihrer Sicht für Jonas in der Arbeitswelt entstehen?
Soll er z. B. im Vorstellungsgespräch gleich sagen, dass er einen Schwerbehindertenausweis hat? Werden die Kollegen tolerant und geduldig genug sein? Wird er gehänselt? Man stellt sich als Eltern so manches vor. Wird er in der Arbeitswelt überfordert oder kann er sich entfalten?
Eine Werkstatt für behinderte Menschen ist im Moment für uns kein Thema. Bei 22q11 können sich im jungen Erwachsenenalter leider auch psychiatrische Krankheiten entwickeln. Das ist für uns wie ein Damoklesschwert. Eine WfbM ist also nicht gänzlich ausgeschlossen, falls er diesen geschützten Arbeitsbereich mal brauchen sollte. Aber wir sind überzeugt, dass er eine Ausbildung machen kann. Vielleicht arbeitet er später ja mal in einem Inklusionsbetrieb?
Wie sieht eine inklusive Gesellschaft für Sie aus?
Eine inklusive Gesellschaft definiert sich darüber, dass ein Mensch so akzeptiert wird, wie sie oder er ist, in der Schule, in der Familie, im Sportverein oder bei der Arbeit. Eine inklusive Gesellschaft schließt niemanden aus. Das ist ein Auftrag für uns alle.
Wenn Jonas in der Schule gefragt wird, warum er einen Nachteilsausgleich bei Schulaufgaben bekommt, dann sagt er ohne große Erklärung: „Weil es so ist!“