Unfallversicherungsschutz im Kontext der Rehabilitation und Teilhabe

Überblick über jüngere BSG- und LSG-Entscheidungen

Zuletzt ergingen mehrere für den Bereich der Rehabilitation und Teilhabe relevante gerichtliche Entscheidungen zum Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Maßgeblich hierbei war vor allem, ob eine verunfallte Person dem Kreis der versicherten Personen angehörte oder eine versicherte Tätigkeit ausübte (§§ 2 Abs. 1. S. 1 Nr. 4, Nr. 15 lit. a sowie § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Entschieden wurde über den Versicherungsschutz bei Nachsorgeleistungen (IRENA), kurativer ambulanter Behandlung (Physiotherapie), Teilhabemaßnahmen (Tätigkeit in einer WfbM) und Besorgung von Batterien für zur Berufsausübung erforderliche Hörgeräte.

Kernaussagen* im Überblick:

Versicherungsschutz bei Besorgung von Ersatzbatterien für Hörgeräte bei entsprechender arbeitsvertraglicher Verpflichtung

Das Besorgen von Ersatzbatterien für Hörgeräte ist versichert, wenn es sich dabei um das Zurücklegen eines versicherten Betriebsweges in Ausübung der versicherten Tätigkeit handelt (§ 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Dies setzt voraus, dass eine entsprechende arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Besorgung von Ersatzbatterien besteht, z. B. wenn die Versicherte aufgrund arbeitsvertraglicher Regelung ihre Tätigkeit (Fahrdienstleiterin) ohne funktionstüchtige Hörgeräte nicht ausüben darf und verpflichtet ist, verbrauchte Batterien unverzüglich auszutauschen.
BSG, Urt. v. 27.06.2024 – B 2 U 8/22 R

Kein Unfallversicherungsschutz bei Sturz auf Heimweg von Reha-Nachsorge (IRENA)

Die nach § 2 Abs. 1 Nr. 15 lit. a SGB VII versicherte Tätigkeit umfasst das Entgegennehmen der Behandlung/Rehabilitation sowie die Handlungen, die Versicherte vornehmen, um die Behandlung entweder zu erhalten oder an ihrer Durchführung mitzuwirken, soweit sie sich dabei im Rahmen der ärztlichen Anordnung halten, d. h. sowohl das passive Hinnehmen von Leistungen als auch eine eigene aktive Betätigung in diesem Rahmen. Vom Gesetzeswortlaut nicht erfasst sind Nachsorgeleistungen, da es sich hierbei nicht um Maßnahmen der ambulanten Rehabilitation handelt. § 2 Abs. 1 Nr. 15 lit. a SGB VII ist auf Maßnahmen der Nachsorge (§ 17 SGB VI) auch nicht analog anwendbar.
LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 11.01.2024 – L 21 U 180/21 (Revision anhängig, Az. B 2 U 3/24 R)

Weg zu ambulanter Krankenbehandlung (ärztlich verordnete Physiotherapie) ist nicht geschützt
Versicherungsschutz bei ambulanten Maßnahmen besteht nur hinsichtlich der medizinischen Rehabilitation selbst (§ 2 Abs. 1 Nr. 15 lit. a SGB VII). Da ambulante medizinische Rehabilitationsleistungen nach § 40 Abs 1 S 1 SGB V generell in „Rehabilitationseinrichtungen“ erbracht werden, gilt, dass die medizinischen Leistungen auf der Grundlage eines ganzheitlich orientierten, komplexen und individuellen unter ärztlicher Verantwortung und Mitwirkung des Reha-Teams erstellten Konzepts zu erfolgen haben. Diese Kriterien erfüllt eine physiotherapeutische Praxis grundsätzlich nicht.
LSG Thüringen, Urt. v. 25.01.2024 – L 1 U 365/22 (rechtskr.)

Für in einer WfbM tätige Menschen mit Behinderungen gelten dieselben Grundsätze wie für Beschäftigte (hier betr.: „besondere Betriebsgefahr“)
Für den Versicherungsschutz von Menschen mit Behinderungen gem. § 2 Abs 1 Nr. 4 SGB VII gelten dieselben Grundsätze wie bei Beschäftigten i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Wird eine in einer WfbM tätige Person durch einen Kollegen während der Mittagspause, die sie auf dem Betriebsgelände verbringen muss, tätlich angegriffen, kann es sich um einen Arbeitsunfall handeln. Es besteht zwar kein innerer sachlicher Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit. Im Einzelfall kann sich darin aber eine besondere Betriebsgefahr verwirklichen.
LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 10.10.2023 – L 15 U 67/22 (Revision zugelassen)

* Aus Leitsätzen bzw. Orientierungssätzen nach JURIS sowie Entscheidungsgründen, redaktionell abgewandelt und gekürzt