Kein Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 SGB XI in einer "besonderen Wohnform"

Orientierungssatz*
In „besonderen Wohnformen“ nach § 71 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI, in denen Eingliederungshilfeleistungen erbracht werden, besteht auch für Selbstzahler kein Anspruch auf Pflegegeld nach § 37 SGB XI anstelle der Pauschalleistung nach § 43a SGB XI. Es fehlt hierfür an der Voraussetzung „häusliche Umgebung“.
BSG, Urteil v. 05.09.2024 – B 3 P 9/22 R

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Der Kläger (Pflegegrad 3) lebt in einer Lebensgemeinschaft, in der neben Wohnraumüberlassungen auch Leistungen der Eingliederungshilfe (EGH) für Menschen mit Behinderungen erbracht werden. Aufgrund zu berücksichtigenden Einkommens und Vermögens zahlt der Kläger die Leistungen der EGH selbst. Von der Pflegekasse (PflV) erhält er eine pauschale Beteiligung an den pflegebedingten Aufwendungen nach § 43a SGB XI. Anstelle dessen begehrt er ein Pflegegeld nach § 37 Abs. 1 SGB XI. Dabei wirft er die Frage auf, ob ein Leistungsausschluss von Selbstzahlern vom Pflegegeld nach § 37 SGB XI in Einrichtungen der EGH gegen den Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 GG verstößt. Die Vorinstanzenwie auch letztinstanzlich das BSG haben die Klage abgewiesen.

Das BSG stellt heraus, dass die Ansprüche nach § 37 Abs. 1 SGB XI und nach § 43a SGB XI jeweils an den Ort anknüpfen, an dem die pflegebedürftige Person betreut und gepflegt wird – nicht daran, wer die EGH-Leistung zahlt. Die vom Kläger bewohnte Lebensgemeinschaft wird vom BSG als Einrichtung bzw. Räumlichkeit („besondere Wohnform“) iSd § 71 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI eingeordnet. Die Voraussetzung der „häuslichen Umgebung“ für die Zahlung von Pflegegeld iSd § 37 Abs. 1 SGB XI ist dann jedoch nicht erfüllt. Die Leistungen nach § 43a SGB XI dienen als Ausgleich dafür, dass in besonderen Wohnformen der EGH grundsätzlich keine Leistungen der PflV erbracht werden, sondern Pflegeleistungen auf gesetzlicher Grundlage Bestandteil der Fachleistungen der EGH sind (vgl. § 13 Abs. 3 S. 3 SGB XI, § 103 Abs. 1 S. 1 SGB IX).

Die Beschränkung des individuellen Anspruchs aus § 43a SGB XI auf 266 €/ Monat auch für Selbstzahler begegnet laut BSG in Bezug auf den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber hat auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts grundsätzlich eine besonders weite Gestaltungsfreiheit, die auch Typisierungen und Pauschalisierungen einschließt. Eine Differenzierung der Art der Pflegeleistungen nach dem Ort der Leistungen ist angesichts der je nach Ort unterschiedlichen Strukturen der Sicherstellung der Pflege kein unsachlicher Gesichtspunkt. § 43a SGB XI weicht auch nicht von den allgemeinen Regelungsstrukturen der PflV ab. Auch dass die EGH seit 2020 mit der Personenzentrierung einer abweichenden Differenzierungslogik folgt, begründet keinen Gleichheitsverstoß durch das Pflegeversicherungsrecht. Schließlich knüpfen die Abgrenzungsregelungen zwischen PflV und EGH an die Leistungs- und Finanzierungsverantwortung der verschiedenen Leistungsträger im Sozialleistungssystem und nicht benachteiligend an eine Behinderung an.

Die Entscheidung, zu der bisher nur der Terminsbericht vorliegt, unterstreicht den weiten gesetzgeberischen Spielraum auch bei der Ausgestaltung der Schnittstellen zwischen EGH und PflV. Die diesbezüglichen Regelungen, insb. §§ 13 Abs. 3 S. 3 und 43a SGB XI sowie § 103 Abs. 1 S. 1 SGB IX, waren und sind Gegenstand fortgesetzter fachpolitischer Diskussionen – nicht nur wegen des Spannungsverhältnisses zwischen Typisierung bzw. Pauschalierung einerseits und Personenzentrierung andererseits. Ob daraus gesetzliche Änderungen folgen, bleibt abzuwarten.

* Leitsätze oder Entscheidungsgründe des Gerichts bzw. Orientierungssätze anhand Terminsbericht, redaktionell abgewandelt und gekürzt