Was uns die Zahlen sagen
Symposium Teilhabeverfahrensbericht
Unter dem Motto „Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen“ (Max Planck) kamen am 13. und 14. November etwa 100 Teilnehmende beim ersten Symposium Teilhabeverfahrensbericht (THVB) in den geschichtsträchtigen Räumen des Harnack-Hauses in Berlin-Dahlem zusammen. Acht Jahre nach Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) und kurz vor Veröffentlichung des sechsten THVB war es Zeit für eine Standortbestimmung. Dazu hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR) ein breites Fachpublikum eingeladen.
Die Vielfalt an Perspektiven auf den THVB wurde schnell sichtbar: Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Trägerbereiche tauschten sich mit Akteurinnen und Akteuren aus Politik und Wissenschaft sowie Expertinnen und Experten bei Fach- und Interessenverbänden, Leistungserbringern und Menschen mit Behinderungen aus. Im Plenum und in kleineren Arbeitsgruppen wurde über zwei Tage hinweg erörtert, welches Licht der THVB auf die Umsetzung des BTHG wirft, welche Erdakenntnisse sich aus den Ergebnissen im THVB gewinnen lassen und welche praktischen Ansätze daraus folgen können. Eröffnet wurde das Symposium von Dr. Susanne Wagenmann, alternierende Vorsitzende des Vorstandes der BAR. Das große Interesse am Symposium zeige, wie wichtig die Themen der Teilhabe und der Transparenz im Reha-Prozess seien. Der THVB gebe Einblicke darin, wie Rehabilitation und Teilhabe gelebt werden und wie leistungsfähig unser System diesbezüglich ist.
Den Auftakt in die Veranstaltung bildete ein Podiumsgespräch zwischen Dr. Rolf Schmachtenberg (Bundesministerium für Arbeit und Soziales), Jürgen Dusel (Behindertenbeauftragter der Bundesregierung), Brigitte Gross (Deutsche Rentenversicherung Bund), Markus Hofmann (alternierender Vorsitzender des Vorstandes der BAR) und Carsten Mertins (Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und Eingliederungshilfe, BAGüS). In dieser Runde blickte man gemeinsam auf den Umsetzungsstand des BTHG und den THVB als Evaluationsinstrument.
Bei aller Vielfalt an Perspektiven unter den Gästen, gab es auch Gemeinsamkeiten. Einigkeit bestand darüber, dass die Einführung des BTHG mit dem einhergehenden Paradigmenwechsel viel Gutes bewirkt hat. Jedoch müsse die flächendeckende Umsetzung der Regelungen des BTHG weiter vorangetrieben werden. Einig war man sich auch, dass anhand der Ergebnisse des THVB konkret aufgezeigt werden könne, an welchen Stellen die Umsetzung des Gesetzes (noch) nicht erfolgt. Herr Dusel warf an dieser Stelle die Frage nach der staatlichen Aufsicht auf. Wiederholt wurde diesbezüglich die trägerübergreifende Zusammenarbeit genannt. Die im THVB berichtete Anzahl an entsprechenden Teilhabeplanungen ist sehr gering. Dabei handelt es sich um einen Kernaspekt im Reha-Prozess, den alle Beteiligten für unumgänglich erachten.
Ergebnisse im THVB erklären
Mit Blick nach vorn wurde festgestellt, dass die Zahlen im THVB stärker qualitativ eingeordnet werden müssen. Forschungsarbeiten wie die kürzlich vom BMAS veröffentlichte qualitative Expertise „Teilhabe gemeinsam planen“ können ein Ansatz sein, um die Ergebnisse im THVB zu erklären. Ziel der Studie war es, aufzuzeigen, weshalb die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Trägerbereichen ausbleibt. Stattdessen werde den Menschen mit Behinderungen laut Herrn Dusel ein „Irrgarten an Zuständigkeiten“ zugemutet, in dem nicht einmal die Profis der Verwaltung durchblickten.
Mit ihrem Vortrag skizzierte die Geschäftsführerin der BAR, Gülcan Miyanyedi, die Entwicklung der Statistik seit Veröffentlichung des ersten THVB in 2019. Sie warf dabei u. a. die Frage nach angemessenen Zielgrößen für die Kennzahlen auf. Für welche Leistungen sind welche Bearbeitungsdauern angemessen? Wie viele Anträge auf persönliches Budget sollte es geben und wie viele dakenntnisse von sollten bewilligt werden? Die Daten im THVB seien wertvoll, weil sie helfen, die richtigen Fragen zu stellen und gezielt zu handeln.
Künftige Ausgestaltung des Reha-Prozesses
Den Kern des Symposiums bildeten fünf an beiden Tagen stattfindende Arbeitsgruppen. Diese ermöglichten es den Teilnehmenden, sich näher mit den Kennzahlen und dem THVB zu beschäftigen, ihre Erfahrungen und Ideen zu neuen Ansätzen auszutauschen. Die thematischen Schwerpunkte der Arbeitsgruppen waren:
- Landesspezifische Auswertungen
- Ideen für eine Weiterentwicklung der Kennzahlen
- Praxis trifft Recht
- Trägerübergreifende Teilhabeplanung
- Forschungsbedarfe analysieren
Janina Bessenich (Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V.) stellte am zweiten Tag in ihrem Impulsvortrag ausgewählte Zahlen aus dem THVB mit Fokus auf den steuerfinanzierten Trägern vor. Sie erläuterte ihre Erkenntnisse beispielsweise zur trägerübergreifenden Teilhabeplanung oder zu Widersprüchen und Klagen.
Nach einer weiteren Arbeitsgruppenphase endete die Veranstaltung mit der Vorstellung der Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen in großer Runde. Auch abseits des Programms nutzten die Teilnehmenden die Gelegenheit, sich trägerübergreifend auszutauschen und über den eigenen Tellerrand zu schauen.
Mit Blick auf die im Plenum vorgestellten Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen, führte Markus Hofmann in seiner Verabschiedung der Gäste unter anderem die länderspezifischen Auswertungen der Kennzahlen im THVB an, die den besonderen Gegebenheiten der einzelnen Bundesländer Rechnung tragen und verhindern, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden. Die Kennzahlen aus dem THVB seien eine Grundlage, mit der konkrete Maßnahmen gestaltet und deren Wirkungen sichtbar gemacht werden können.
Während des zweitägigen Symposiums wurde nicht nur engagiert und aus verschiedenen Blickwinkeln über eine Statistik gesprochen. Vielmehr ging es um eine gemeinsame Befassung mit dem Reha-Prozess und seiner künftigen Ausgestaltung, um allen Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe zu ermöglichen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Ninia LaGrande.
Dr. Stephanie Czedik, Dr. Nadine Liebing und Ann-Kathrin Poth
Eine ausführliche Nachlese zum Symposium mit fachlichen Inhalten und Eindrücken in Bildern finden Sie hier. |