Auf dem Weg zur Teilhabe und Inklusion

Neuer Teilhabebericht der Bundesregierung

Im Juli 2013 hat das Bundeskabinett den neuen Teilhabebericht der Bundesregierung zur aktuellen Lage von Menschen mit Beeinträchtigungen beschlossen. Bereits seit 1982 erstellt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in jeder Legislaturperiode einen Bericht über die Situation behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe.

Mit dem Nationalen Aktionsplan (NAP) zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hatte sich die Bundesregierung verpflichtet,  eine Verbesserung der Datenlage zur Lebenssituation behinderter Menschen zu erreichen. Dazu war eine grundlegende Neukonzipierung der Behindertenberichterstattung notwendig:

·        Neben Menschen mit (anerkannten) Behinderungen werden auch Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen erfasst. Dem zugrunde liegt ein verändertes Verständnis von Behinderung, als die Wechselwirkung von Beeinträchtigungen mit teilhabeeinschränkenden oder -fördernden Kontextfaktoren. Die Frage ist also, wie stärken oder behindern räumliche, soziale und infrastrukturelle Umweltbedingungen sowie personale Faktoren eine gleichberechtigte Teilhabe?

·        Um der Verschiedenheit von Teilhabechancen in unterschiedlichen Lebensbereichen gerecht zu werden, orientiert sich die Berichterstattung am Lebenslagenansatz. Als Vorlage der Strukturierung dienen die in UN-BRK und NAP beschriebenen Teilhabefelder Familie und soziales Netz, Bildung und Ausbildung, Erwerbsarbeit und Einkommen, alltägliche Lebensführung, Gesundheit, Freizeit, Kultur und Sport, Sicherheit und Schutz vor Gewalt sowie Politik und Öffentlichkeit.

·        Zur Vergleichbarkeit der Teilhabechancen in den jeweiligen Lebenslagen nutzt der Bericht Indikatoren, die die Teilhabe von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung ins Verhältnis setzen. So ist z. B. der erreichte Bildungsabschluss junger Menschen mit Beeinträchtigungen im Vergleich zur Gesamtheit aller Schulabgänger ein Indikator über die Bildungsbeteiligung.

·        Ein weiteres Anliegen des NAP ist die Begleitung durch einen wissenschaftlichen Beirat bei der Erstellung des Berichtes, zur Sicherstellung einer unabhängigen Berichterstattung und Einbeziehung der Perspektive und Expertise von Menschen mit Behinderungen. So wurden drei von neun Mitgliedern des Gremiums vom Deutschen Behindertenrat benannt. Neben der wissenschaftlichen Bewertung und Ergänzung des Teilhabeberichtes sind am Ende der Kapitel Kommentare des wissenschaftlichen Beirats zu finden.

Der fast 500 Seiten umfassende Bericht zu den Teilhabechancen von Menschen mit Beeinträchtigungen ist unter den veränderten Anforderungen in fünf aufeinander aufbauende Teile gegliedert. Nach der Erläuterung der konzeptionellen und methodischen Grundlagen (Teil 1) wird die gegenwärtige Situation von Menschen mit Beeinträchtigungen in den jeweiligen Teilhabefeldern aufgezeigt (Teil 2). So wird beispielsweise herausgestellt, dass in der Gruppe der 30-64-jährigen Menschen mit Behinderungen 19 % keinen Berufsabschluss besitzen, entgegen 11 % der Menschen ohne Beeinträchtigungen. Im Bereich der Erwerbsarbeit belegt der Bericht, dass Menschen mit Beeinträchtigungen tendenziell häufiger und länger von Arbeitslosigkeit betroffen sind (25,9 Monate) als Nicht-Beeinträchtigte (15,3 Monate). Des Weiteren sehen nach subjektiver Einschätzung rund 90 % der Menschen mit Beeinträchtigungen einen Handlungsbedarf zur Verbesserung der Barrierefreiheit bei der öffentlichen Infrastruktur und der Zugänglichkeit von öffentlichen Gebäuden und Plätzen. Nicht zuletzt bewerten nach den vorliegenden Daten „ 55 Prozent der Erwachsenen mit Beeinträchtigungen (…) ihren Gesundheitszustand als „weniger gut“ oder „schlecht“ im Vergleich zu 9 Prozent derjenigen ohne Beeinträchtigungen.“

Anschließend werden die Leistungen und Aktivitäten zur Verbesserung der Selbstbestimmung und Teilhabe zusammengestellt (Teil 3). Dabei sind die Förderangebote, Nachteilsausgleiche und andere staatlichen Leistungen den verschiedenen Teilhabefeldern zugeordnet. Im Vergleich zu den vorherigen Berichten liegt die Schwerpunktsetzung diesmal nicht auf der Maßnahmenanalyse, der „Bericht liefert also weniger eine Leistungsschau staatlicher Stellen als vielmehr eine Übersicht über Teilhabe fördernde Aktivitäten und Maßnahmen entlang der definierten Lebenslagen.“[1] Zur Vertiefung wurden die Personengruppen der älteren Menschen mit Beeinträchtigungen und der Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen als Schwerpunktthemen in den Fokus gestellt (Teil 4). Der Teilhabebericht führt in Bezug zu der sich ändernden Altersstruktur an, dass der Anteil erwachsener Menschen mit Beeinträchtigungen im Rentenalter von zurzeit 50 % bis 2035 auf 61 % ansteigen wird. Ähnlich eindrucksvoll ist die Entwicklung der psychischen Beeinträchtigungen. Hier steigt die Zahl der als schwerbehindert anerkannten Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen von 348.653 (2005) auf 495.962 (2011) an. Das ist eine Zunahme um 42 %. Daneben ist die Zahl der stationären Aufnahmen von Patientinnen und Patienten mit psychischen oder Verhaltensstörungen von 916.968 im Jahr 2000 auf 1.163.613 im Jahr 2010 (+27 %) angestiegen. Besonders drastisch sind die Aufnahmezahlen bei den unter 15-Jährigen (+49 %) sowie den 45- bis 64-Jährigen (+39 Prozent). Eine kongruente Entwicklung ist nach Aussage des Berichtes auch bei stationären Aufnahmen in Rehabilitationseinrichtungen zu beobachten.

Zuletzt befasst sich die Bundesregierung mit Vorschlägen zur Weiterentwicklung der Datengrundlage für zukünftige Berichte (Teil 5). An dieser Stelle werden Defizite der gegenwärtigen Datenerhebung und die dadurch bedingte eingeschränkte Aussagekraft offen benannt. So können die Befragungen nur zum Teil als repräsentativ betrachtet werden, da Personen in stationärer Unterbringung nicht mit einbezogen wurden. Zudem sind die Erhebungsmethoden nicht barrierefrei und schließen damit Personen mit schweren geistigen oder bestimmten Sinnesbeeinträchtigungen aus. Nicht zuletzt wurden keine regionalen Differenzierungen vorgenommen, die einen Vergleich innerhalb der Bundesländer zulässt.

In diesem Zusammenhang ist eine breit angelegte repräsentative Studie zur Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen geplant, die als Datenbasis für künftige Teilhabeberichte dienen soll. Das neu konzipierte und UN-BRK-konforme „Gerüst“ des Teilhabeberichtes könnte damit inhaltlich gefüllt werden und der veränderten Sicht auf Behinderung als Wechselwirkung zwischen Beeinträchtigungen und behindernden Kontextfaktoren gerecht werden.


[1] Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013): Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen, S. 14.