Fahrkosten bei stufenweiser Wiedereingliederung

Orientierungssatz*
Es besteht kein Anspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung auf Übernahme von Fahrkosten zum Beschäftigungsort während der stufenweisen Wiedereingliederung. Die stufenweise Wiedereingliederung als solche ist keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation.
BSG, Urteil v. 16.05.2024 - B 1 KR 7/23 R
(Parallelentscheidung: B 1 KR 4/23 R)

Sachverhalt und Entscheidungsgru?nde

Der Rechtsstreit betrifft die Erstattung von Kosten für Fahrten zur Arbeitsstelle und zurück während einer stufenweisen Wiedereingliederung (SWE) ins Erwerbsleben. Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger war vom 6.8. bis 16.12.2018 arbeitsunfähig erkrankt und bezog währenddessen Krankengeld. In diesem Zeitraum nahm der Kläger Physiotherapie, nicht aber Rehabilitationsleistungen in Anspruch. Von seiner Krankenkasse forderte er die Übernahme der ihm im Zusammenhang mit einer SWE vom 3. bis 14.12.2018 entstandenen Fahrkosten, diese lehnte jedoch unter Berufung auf § 11 Abs. 2 iVm. § 60 Abs. 5 SGB V eine Erstattung ab. Die klagestattgebende Entscheidung der 1. Instanz hob das LSG Sachsen auf. Der Kläger habe weder nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung noch nach dem der (beigeladenen) gesetzlichen Rentenversicherung (§ 15 Abs. 1 SGB VI iVm. §§ 42 ff. SGB IX) Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten. Das LSG folgte insbesondere nicht der Auffassung der Vorinstanz, dass „trotz der betrieblichen Durchführung“ die SWE „wegen ihres vorrangig therapeutischen Zwecks den Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation zuzuordnen“ sei.

Dem hat sich das BSG angeschlossen und die Klage abgewiesen. Laut 1. Senat wären die Fahrkosten nur dann ausnahmsweise zu übernehmen, wenn sie „im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ anfallen würden; eine SWE nach § 74 SGB V sei jedoch keine medizinische Rehabilitation. Die Leistung der Krankenkasse bestehe bei SWE vor allem in der sozialen Absicherung, also in der Gewährung von Krankengeld. Die SWE sei damit nicht nur formal aufgrund ihres Regelungsortes im SGB V keine medizinische Reha-Leistung der Krankenkasse, sondern auch materiell, weil sie von der Krankenkasse nicht selbst erbracht, sondern nur unterstützt werde. Die Regelung des § 44 SGB IX wiederum, der die SWE unter dem dortigen Kapitel 9: Leistungen zur medizinischen Rehabilitation verortet, erschöpft sich nach Ansicht des Gerichts in einem Hinwirkungsgebot an die zuständigen Reha-Träger, die medizinischen Leistungen mit Blick auf eine mögliche SWE auszugestalten. Die SWE beinhalte, so das BSG, auch keine Sach-, Dienst- oder Geldleistung eines Reha-Trägers und sei damit keine Sozialleistung iSd § 11 SGB I. Schließlich habe der Reha-Träger auch keine Möglichkeit, bei der Durchführung einer SWE auf Arbeitnehmer oder Arbeitgeber einzuwirken und so seiner Leistungsverantwortung (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SGB IX) nachzukommen.

Die Entscheidung, zu der bislang lediglich der Terminsbericht vorliegt, klärt zumindest für die Bereiche der GKV und der DRV eine lange umstrittene Frage zur rechtlichen Einordnung der SWE. Ungeachtet der einzelnen Argumente wird als Konsequenz in der Praxis das Potenzial der SWE auch künftig in den Fällen ungenutzt bleiben, in denen denjenigen, die mit einer SWE wieder zügiger ans Arbeitsleben herangeführt werden könnten, durch Fahrkosten finanzielle Nachteile entstehen. Nach den bisher bekannten Inhalten der Entscheidung bleibt noch offen (auch wenn die Argumentation des BSG dafür zu sprechen scheint, vgl. insofern auch bereits BSG v. 5.2.2009 – B 13 R 27/08 R – und v. 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R), ob die Frage einer Fahrkostenerstattung anders zu entscheiden wäre, wenn die SWE in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Leistung der medizinischen Rehabilitation steht und sich damit als Bestandteil einer in der Zusammenschau einheitlichen (Gesamt-)Maßnahme darstellt (vgl. insofern §§ 64 Abs. 1 Nr. 5, 73 SGB IX).

Ergänzend sei hier noch auf die Arbeitshilfe zur SWE verwiesen, deren aktuelle Fassung 2023 von den Reha-Trägern und Integrationsämtern auf Ebene der BAR vereinbart wurde. Sie befasst sich zielgruppenspezifisch mit zahlreichen Praxisaspekten der SWE und klärt grundlegende Fragen.

Abrufbar unter:
www.bar-frankfurt.de

 

* Aus Leitsätzen bzw. Orientierungssätzen nach JURIS sowie Entscheidungsgründen, redaktionell abgewandelt und gekürzt